Frauenhass mit einem Klick

Diffamierungen und Hasskommentare sind in den sozialen Medien allgegenwärtig. Marginalisierte Gruppen sind besonders häufig von ihnen betroffen. MILA JOSIFOVSKA DANILOVSKA und DESPINA KOVAČEVSKA berichten über geschlechtsspezifische Online-Hassreden in Nordmazedonien.

Anfang 2024 sprach das Gericht in Bitola das erste Urteil wegen Hassrede gegen die LGBTQIA+ Gemeinschaft in Nordmazedonien. Die Beklagte wurde schuldig befunden, durch wiederholte Äußerungen auf Facebook, schwere Diskriminierung gegen queere Personen begangen zu haben. Die Community verbucht dieses erstmalige Urteil als Erfolg in ihrem langen Kampf gegen Diskriminierung. Nichtsdestotrotz bleibt die rechtliche Situation von Hassrede in Nordmazedonien, vor allem jene, die im Internet und aufgrund von geschlechtsspezifischen Merkmalen begangen wird, vage. 

Hass im Netz trifft viele, vor allem in der Öffentlichkeit stehende Personen, egal ob Politiker*innen, Journalist*innen oder Influencer*innen. Obwohl der Europarat und die Vereinten Nationen einen Rahmen für die weltweite Bekämpfung von Hassrede abgesteckt haben, fehlt bislang eine allgemeine Definition dieses Phänomens. Daher pflegen verschiedene Staaten auch einen unterschiedlichen Umgang mit Hass im Netz: Die USA betonen das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung, während Europa bei gleichzeitigem Schutz der Redefreiheit rigoroser gegen Hetze vorgeht.  

Frauen als Zielscheibe von Hass im Netz 

Besonders Frauen sind im Internet häufig von geschlechtsspezifischem Hass betroffen. Die Metamorphosis Foundation untersuchte die Zusammenhänge von Gender und Online-Hassrede sowie die behördliche Behandlung dieser Vorfälle in Nordmazedonien. Geschlechtsspezifische Hassreden auf Online-Plattformen richteten sich demnach insbesondere gegen Journalistinnen, Aktivistinnen und Politikerinnen. Doch auch offline sind Frauen in öffentlichen Ämtern einer Flut von Beschimpfungen, Drohungen, Beleidigungen und Verleumdungen ausgesetzt. Politischen Persönlichkeiten wie der Bürgermeisterin von Skopje, Danela Arsovska, und der Verteidigungsministerin Slavjanka Petrovska werden ihre Autorität und Legitimität abgesprochen. Auch Journalistinnen werden aufgrund ihrer Berichterstattung oft Opfer von Hass. Tanja Milevska, die als Brüssel-Korrespondentin für die nordmazedonische Nachrichtenagentur MIA arbeitet, traf ein Shitstorms, weil sie die Regierung kritisierte. Miroslava Byrns, die derzeit für Sloboden Pecat schreibt, wurde aufgrund eines Artikels, in dem sie Verstöße gegen den Journalist*innenkodex aufdeckte, diffamiert. Und auch Akademikerinnen wie Katerina Kolozova und Influencerinnen wie Mia Kostova bleiben von Hassreden nicht verschont.  

Obwohl ihre öffentlichen Stellungnahmen die darauffolgenden Angriffe auslösen, bezieht sich der Hass gegen diese Frauen meist nicht auf ihre Aussagen, sondern ihr Erscheinungsbild. Bodyshaming, Rassismus und Misogynie beweisen die komplexe Intersektionalität von Hassreden gegen Frauen im Internet. Im Gegensatz beziehen sich Angriffe auf Männer eher auf deren Intelligenz oder Promiskuität. Facebook erweist sich als wichtigste Plattform für online Hassreden, da es auch das meistgenutzte soziale Netzwerk in Nordmazedonien ist.  

Hassreden im Internet bleiben oft unbestraft  

Die nordmazedonische Verfassung erklärt unmissverständlich die Gleichheit der Bürger*innen in Bezug auf ihre Freiheiten und Rechte, ungeachtet des Geschlechts, der Ethnizität, der Nationalität, der politischen oder religiösen Überzeugungen, des Eigentums oder des sozialen Status. Während traditionelle Medien einem klaren Rechtsrahmen unterliegen, arbeiten viele Online-Portale außerhalb der behördlichen Aufsicht. Das Strafgesetzbuch und Mediengesetz enthalten keine ausdrücklichen Bestimmungen zu Online-Hassreden, doch der Artikel 394(g) stellt die Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Inhalte über Computersysteme unter Strafe. Nichtsdestotrotz macht das Fehlen eines klaren Eintrages in der Legislation den Kampf gegen Online-Formen von Hassrede und Diskriminierung schwierig. 

Die milde Haltung der Justiz zeigt sich auch darin, dass bei Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Online-Hassreden Bewährungsstrafen üblich sind. Eine Analyse von Gerichtsurteilen, die sich auf Artikel 394(g) berufen, zeigt, dass Fälle von Online-Missbrauch oft auf die politische Zugehörigkeit des Opfers zurückzuführen sind, insbesondere bei Beamt*innen. Darüber hinaus sind Hassreden auf der Grundlage des persönlichen oder sozialen Status weit verbreitet. Einige Fälle umfassen Hassreden auf der Grundlage von Religion, ethnischer Zugehörigkeit und Alter. Die Analyse zeigt jedoch auch, dass es keine Urteile zu Hassreden aufgrund von Geschlecht oder Genderidentität gibt. 

Die lückenhafte Definition von Hassreden und die mangelhafte Regulierung von Online-Medien verschärfen das Problem und lassen Täter*innen oft ungestraft davonkommen. Nur selten melden Betroffene diese Vorfälle. Eine Umfrage unter 103 Befragten zeigt, dass 65 % selbst bereits Opfer von Hassreden wurden oder jemanden kennen, aber nur 40 % die Vorfälle an staatliche Einrichtungen oder soziale Medien meldeten. Die Ergebnisse der Meldungen reichten von keinerlei Maßnahmen bis hin zur Entfernung der Nachrichten und zur Sperrung des Plattformzugangs der Täter*innen. Als Grund, warum sie Vorfälle nicht meldeten, nannten die Befragten Skepsis gegenüber der Wirksamkeit, das geringe Vertrauen in institutionelle Mechanismen und Angst vor Polizeikorruption. Zudem gaben einige an, nicht zu wissen, wo oder wie sie Vorfälle melden sollten. Diese Kommunikationslücke unterstreicht die Notwendigkeit einer effektiveren Verbreitung von Informationen über verfügbare Ressourcen und Meldewege, um Hassreden im Internet wirksam zu bekämpfen.  

Im Rahmen unseres Forschungsprojekts befragten wir auch Anwaltskanzleien und zivilgesellschaftliche Organisationen zur Häufigkeit der Inanspruchnahme von Rechtshilfe in Fällen von Online-Hassreden. 42% der Anwaltskanzleien und zwei Drittel der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die kostenlose Rechtshilfe anbieten, gaben an, noch nie um Unterstützung in solchen Fällen gefragt worden zu sein. Am häufigsten würden jedoch erwerbstätige Frauen im Alter von 30-55 Jahren in Skopje um Hilfe in solchen Fällen suchen.  

Öffentliches Bewusstsein stärken  

Insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen plädieren für die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Online-Täter*innen und eine stärkere administrative Kontrolle von Social-Media-Plattformen. Sie weisen auch auf die Herausforderungen hin, die durch gefälschte Profile entstehen, und betonen die Notwendigkeit öffentlicher Sensibilisierungskampagnen. Bei all diesen Sensibilisierungsmaßnahmen muss auch die geschlechtsspezifische Natur von Hassreden im Internet berücksichtigt werden. Die Hate-Speech-Plattform des mazedonischen Helsinki-Komitees zeigt Spitzenwerte der gemeldeten Fälle im Jahr 2020. Gerade während der COVID-19-Pandemie nahmen Hassreden im Netz sowie die gemeldeten Fälle in Nordmazedonien stark zu – auch wegen des pandemiebedingten Anstiegs der Online-Aktivitäten, der zunehmenden digitalen Polarisierung und der geringen digitalen Kompetenz in der Bevölkerung. In den Jahren danach ist ein Rückgang zu verzeichnen, da sich Nutzer*innen möglicherweise selbst zensierten, um Gegenreaktionen zu vermeiden. Hassreden, die sich gegen die LGBTQIA+ Gemeinschaft richten, häufen sich dagegen weiterhin bei Veranstaltungen wie der Pride-Parade.  

In Nordmazedonien verschärft geschlechtsspezifische Online-Hassrede häufig die bestehenden Herausforderungen für Frauen. Gerade in patriarchalen Kulturen wie auf dem Balkan wird geschlechtsspezifischer Hass gegen Frauen oft bagatellisiert. Im Oktober 2022 wies die Europäische Kommission darauf hin, dass Nordmazedonien die Umsetzung der Gesetze gegen Hassreden und den nationalen Aktionsplan zur Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen verbessern muss. Die Kommission identifizierte Online-Medienplattformen als Hauptquelle für Desinformation und Hassreden. Der Bericht sprach sich schließlich für Kampagnen aus, um das Verständnis der Beteiligten und der Öffentlichkeit zu verbessern.  

Rechtliche Grundlagen schaffen 

Mittlerweile hat auch das Strafgesetzbuch Änderungen erfahren. So werden Angriffe auf Journalist*innen seit 2023 ähnlich wie Vorfälle gegen Beamt*innen oder Rechtsanwält*innen geahndet, für die eine Gefängnisstrafe vorgesehen ist. Außerdem wurde das Spektrum der Gründe, die Personen zu Opfer von Straftaten machen können – online oder im realen Leben – erweitert. Diese umfassen nun auch die Kategorien Geschlecht, sexuelle Orientierung und Genderidentität. 

Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert jedoch weiterhin Verbesserungen der rechtlichen Infrastruktur und der Mechanismen zur Rechenschaftspflicht für Online-Plattformen. Opfer zu ermächtigen, Vorfälle zu melden, und die Förderung einer Kultur der digitalen Verantwortung sind entscheidende Schritte zur Bekämpfung von Hass im Netz. Untätigkeit führt nicht nur dazu, dass Einzelpersonen weiter geschädigt werden, sondern untergräbt auch das Vertrauen in digitale Räume. 

 

Mila Josifovska Danilovska ist Programmmanagerin der Metamorphosis Foundation for Internet and Society in Nordmazedonien. Sie setzt sich für Menschenrechte im Internet ein und fördert digitale Inklusion. 

Despina Kovačevska ist Spezialistin für Medienbeobachtung und konzentriert sich auf die Analyse von Medieninhalten im Hinblick auf Desinformation und Hassrede.  

Die Zukunft ist noch nicht vorbei!

Arbeitslosigkeit, Ausgeschlossenheit, multiple Krisen: Die Jugend in den ex-jugoslawischen Ländern scheint perspektivlos. PIA BREZAVŠČEK zeigt, wie Künstler*innen mit Blick in die Vergangenheit die Zukunft zurückerobern.

Womöglich sind Sie mit dem Futurismus bekannt. Die in Italien begründete Kunstströmung verbreitete sich Anfang des 20. Jahrhunderts zuerst in Europa und schließlich auch über den Kontinent hinaus. Doch haben Sie auch vom Jugofuturismus (Yugofuturism, YUFU) gehört? Im kommenden versuche ich, Ihnen die künstlerisch unausgeschöpften Potenziale dieses Konzepts zu erläutern, das auch unserer Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Maska ihren Namen schenkte. 

Maska ist ein über 200 Jahre altes Institut für Verlagswesen und Performancekunst in Slowenien. Nach der 22-jährigen Leitung durch den Künstler Janez Janša* traten wir als neues Team seine Nachfolge an. Wir gehören zu einer Generation, die Jugoslawien nie bewusst miterlebte. Dennoch haben wir Erfahrungen zweiter Hand: die noch existierende Infrastruktur und Architektur, die Geschichten unserer Eltern und Großeltern. Sie wuchsen in einem multiethnisch und sozialistisch geprägten Umfeld auf, in dem die Menschen größtenteils glaubten, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Wir hingegen sollten globalisierte Kinder einer neugeborenen Republik Slowenien werden. Im Gegensatz zu anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens war unser Abschied vom alten Staat nicht allzu traumatisch, doch der Enthusiasmus für einen neuen slowenischen Nationalstaat wurde durch die Privatisierung und die spätere Finanzkrise schnell gedämpft. Die Wende hat unsere Zukunft abgeschafft. Vor allem Millennials und jüngere Generationen verloren durch die Transformation zum Kapitalismus den Glauben an den „Fortschritt“. Ökologische und politische Krisen lassen uns vielmehr einen Weltuntergang erahnen. 

Der Appell in Form des Jugofuturismus beruht dennoch nicht auf einem Gefühl der Nostalgie. Jugoslawien zerfiel auf eine brutale Art und Weise, was kaum die Folge eines perfekten Staatsmodells sein kann. Der Staat war nicht frei von Nationalismen, Chauvinismus und Aufhetzung – Aspekte, die wir nicht vermissen. Doch in der damaligen Multiethnizität, im sozialistischen Feminismus, im Prinzip der Gleichheit aller Menschen und dem Recht auf ein sinnerfülltes Leben und Freizeit sowie im sozialen Wohnbau sehen wir eine Fülle unausgeschöpfter Potenziale. Jugofuturismus soll kein neues politisches Programm für die Zukunft sein, er ist das Politikum an sich, wieder an die Zukunft zu glauben. Er gibt den Mut, uns die Mitgestaltung der Welt anzueignen und uns nicht einfach den Regeln eines hegemonialen Plans anzupassen. Seit unserer Jubiläumsausgabe 2020 haben wir daher eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte realisiert. Autor*innen aus dem ehemaligen Jugoslawien, Bulgarien und dem Vereinigen Königreich trugen bisher mit künstlerischen oder theoriebezogenen Artikeln zu unserer Zeitschrift bei. 2021 organisierten wir eine Konferenz auf der 34. Biennale für grafische Künste in Ljubljana, die dem jugoslawischen Technologiekonglomerat Iskra Delta gewidmet war. Eine weitere Konferenz fand 2022 auf dem Internationalen Theaterfestival BITEF in Belgrad statt. Da wir unser Projekt allen Interessierten zugänglich machen möchten, richteten wir mit der Open Source Programmierergruppe Kompot eine Internetseite ein. Hier kann jede*r Gedanken zum Jugofuturismus teilen und direkt neue Konzepte hinzufügen oder bestehende bearbeiten. So entsteht ein kollaboratives, dezentralisiertes „jugofuturistisches Manifest“. 

Peripherie empowern 

In Anlehnung an das Konzept des Afrofuturismus kann eine weitere politische Dimension auf den Jugofuturismus angewendet werden: Ethnische oder anderweitig marginalisierte Gruppen haben die künstlerische Kraft, Identitäten und Gesellschaften wiederherzustellen oder zu reparieren, die als zukunftslos und rückständig bezeichnet werden. Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens unterschieden sich teilweise stark in Bezug auf ihre wirtschaftliche Situation und die Einbindung in die EU. Doch ihnen allen ist eine gewisse Zukunftslosigkeit gemein, die sich in Jugendarbeitslosigkeit, Abwanderung und Wirtschaftsmigration zeigt. Viele haben zudem das Gefühl nur am Rande Europas zu existieren. Aus dieser Perspektive kann der Jugofuturismus eine kreative Erinnerung daran sein, dass eine besondere Kraft in der Einheit liegt. Durch Nationalismen zersplitterte und durch Eurozentrismus entfremdete Menschen können wieder zusammenfinden. Die Autorin Ana Fazekaš schreibt in Maska dazu, dass wir die überwältigenden Gefühle des Zurückbleibens und der Hoffnungslosigkeit nicht bekämpfen, sondern annehmen sollten. In der Akzeptanz dieser Gefühle kann eine gewisse Befreiung liegen, da wir unser Verlierertum endlich bejahen und es nicht mehr schamhaft zu verstecken versuchen. 

Zwischen Utopie und Dystopie 

Nichtsdestotrotz ist Jugofuturismus eine Frage und keine Antwort. Wir versuchen einen kreativen Funken zu entfachen, und Anlässe zu bieten, um sich wieder interregional zu vernetzen. Für die Nachkriegsgenerationen gab es bisher kaum derartige Möglichkeiten. 

Da Maska auch ein Institut für künstlerische Produktion im Bereich der performativen Künste ist, veröffentlichten wir 2022 eine offene Ausschreibung für eine jugofuturistische Performance. Schließlich wurde das Stück „How well did you perform today?“ der bosnischen Performance-Künstlerin Alma Gačanin beim YUFU Cycle Event im Jänner dieses Jahres uraufgeführt. Es zeigt eine feministische Dystopie, die in einem Fitnessstudio der Zukunft spielt. In dem Stück werden sexuelle, emotionale und ausbeuterische Dimensionen der Arbeit erforscht. Außerdem beauftragte Maska Performer*innen und Forscher*innen, sich mit der Idee einer alternativen Zukunft des Künstlers und Forschers Rok Kranjc auseinanderzusetzen: In „Future 14b“ führte ein Alien durch den „Krater“, eine verlassene Baustelle in Ljubljana, und zeigte Stationen unserer utopischen und dystopischen Zukunft. 

In Zusammenarbeit mit Radio Študent, dem ältesten unabhängigen Radio in Europa, entstand zudem eine Reihe von Sendungen und kurzen Experimentalfilmen. Sie handeln von wichtiger Infrastruktur wie Straßen und Eisenbahnen in postjugoslawischer Zeit, Roadtrips der „verlorenen Generation“ und von Kultmodestücken wie den Trainingsanzügen aus den Achtzigern, die heute recycelt werden und wieder im Trend liegen. Für letzteres Projekt arbeiteten wir mit dem Lehrstuhl für Textil- und Modedesign der Fakultät für Natur- und Ingenieurwissenschaften zusammen. Innerhalb eines Semesters verwandelten Studierende alte Trainingsanzüge in Designerstücke zum Thema Jugofuturismus.  

Für uns steht Jugofuturismus erst am Anfang. Mit unserer partizipatorischen Webseite und weiteren künstlerischen und interdisziplinären Initiativen möchten wir den Funken der Kreativität immer wieder neu entfachen und Wege für sinnvolle interregionale und internationale Verbindungen schaffen. 

 

Janez Janša (geboren Emil Hravtin) ist einer von drei slowenischen Künstlern, die sich 2007 nach dem rechtspopulistischen Politiker und ehemaligen Ministerpräsidenten Sloweniens umbenannten. 

Briefing on Elections in North Macedonia

Read the briefing by Melanie Jaindl here:

Also follow the discussion available on the YouTube channel of the IDM:

IDM Short Insights 26: Five years of Prespa Agreement

 

On 17 June 2018, representatives of the then-republic of Macedonia and Greece signed the historic Prespa agreement, paving the former Yugoslav republic’s way into NATO and the EU. The agreement included a name change of the Republic of Macedonia to North Macedonia and clarification that the Southern-Slavic nation is not related to the ancient kingdom of Macedonia, with which a considerable part of Greeks identify. In exchange the Macedonian language was recognized by the United Nations and Greece stopped its veto on North Macedonia’s NATO and EU accession talks. The Prespa Forum Dialogue 2023 at lake Ohrid looked at good and improvable examples of neighbourly relations in the Western Balkans. These relations are also reflected in the region’s numerous border lakes.


Transcript:

I am in Struga, a town located at the Lake Ohrid in North Macedonia. The shores of this picturesque lake became the scene for several meetings of representatives from the Western Balkan region and the International Community since the Yugoslav Succession Wars. 

So was the Ohrid Framework Agreement signed here in the closeby city with the same name in 2001. This agreement aimed to put an end to violent conflicts within the Former Yugoslav Republic Macedonia and to secure minority rights, especially those of the largest ethnic minority, the Albanians, in order to consolidate the sovereignity and territorial integrity of the country, although tensions continue to flare up time and again. 

In March of 2023, Kosovos Prime Minister Albin Kurti and Serbian President Aleksandar Vucic met in Ohrid to discuss the so-called European Proposal aiming for normalization of relations between both countries. Although EU foreign policy chief Josep Borrel tweeted “We have a deal” after the meeting, both parties did not sign the agreement and the implementation of respective proposal is still pending. In the last days violence is escalating in the Serb-majority North of Kosovo, making a peaceful resolution in the near future even more unlikely. 

This week, the Prespa Forum Dialogue took place here in Struga. And this very day of recording the video, June 17 2023, marks five years of signing the historic Prespa Agreement between North Macedonia and Greece. In 2018, representatives of Greece and the then-republic of Macedonia met at the closeby lake Prespa on the borders of Albania, Greece and North Macedonia and signed the agreement paving the former Yugoslav republic’s way into NATO and the EU. The agreement included a name change of the Republic of Macedonia to North Macedonia and clarification that the Southern-Slavic nation is not related to the ancient kingdom of Macedonia, with which a considerable part of Greeks identify. In exchange the Macedonian language was recognized by the United Nations and Greece stopped its veto on North Macedonia’s NATO and EU accession talks. North Macedonia became a NATO member in 2020 and EU accession talks began in 2022. 

I had the pleasure to speak at a panel at the 2023 Prespa Forum Dialogue about youth’s contribution to the energy transition and a sustainable future for all. In order to achieve these goals, cross-border cooperation is inevitable. Environmental protection does not stop at borders, the air, rivers and lakes do not know borders – Lake Prespa, but also Lake Ohrid are perfect examples for this. The dispute between Kosovo and Serbia is also reflected in a border lake, namely lake Gazivoda. How this conflict flows into environmental and energy issues is described in our upcoming issue of our German-language magazine Info Europa. “Kampf ums Wasser”, meaning “The fight for water” is published on 15th July as supplement to the Austrian daily Die Presse and a free-of-charge ePaper. So make sure to read this and many more interesting stories about environmental, social and also military conflicts in the region. 

Euphorie aus der Dose

Die Straßen bis zum Stadion sind voll mit ihnen: Graffitis, die Loyalität zu lokalen Fußballklubs ausdrücken. In ihrem Text beschreibt MELANIE JAINDL die Euphorie, die ihre Schöpfer*innen bewegt und erklärt, welche Konflikte sich hinter den Wandbildern von Ljubljana bis nach Skopje verbergen.

Was, wenn Wände sprechen könnten? Welche Geschichten würden sie uns wohl erzählen? Es ist ein spannendes Gedankenexperiment, oft aufgegriffen in Musik und Literatur. Doch was, wenn ich Ihnen sage, dass sie das schon die ganze Zeit tun? Die Wände einer Stadt machen sich zwar nicht mit Lauten bemerkbar, doch aufmerksamen Passant*innen verraten sie vieles über die Menschen, die tagtäglich an ihnen vorüberziehen.

Nacht und Nebel

Sticker, Schablonenmuster und Tags, aber auch große Graffiti-Pieces mit künstlerischem Charakter – für viele zeugen sie bloß von Vandalismus, für den slowenischen Kulturwissenschafter Mitja Velikonja sind es allerdings subkulturelle Ausdrucksformen von politischem Dissens und Zugehörigkeit. Seit über 20 Jahren erforscht er ihre kulturelle und politische Bedeutung: »Sie erfüllen eine kritische öffentliche Funktion, indem sie ästhetische Harmonie zerstö ren.« Vor allem Fußballfan-Graffitis sind in europäischen Städten nicht zu übersehen. Die Anhänger*innen lokaler Vereine tragen den Anspruch auf »ihre« Stadt öffentlich aus. Markiert ein konkurrierender Verein ihr Territorium, wird das Graffiti in kürzester Zeit gecrosst (Szenebegriff für übermalen/durchkreuzen). Diese »Graffiti-Kriege« werden vorzugsweise nachts ausgetragen, im Schutz der Dunkelheit vor polizeilichen Konsequenzen und Rival*innen.

Alle für einen

In Europa zählt Fußball zu einem nahezu unantastbaren Kulturgut. Betrachtete Karl Marx noch Religion als »Opium des Volkes«, schreibt der links-anarchistische Autor Gabriel Kuhn dem Fußball diese Bezeichnung zu. Auf dem Spielfeld treten Arbeiter*innen gegen Arbeiter*innen an – das lenkt vom Klassenkampf ab. Gleichzeitig waren es vor allem Arbeiter*innen, die den Fußball professionalisierten, denn vielen blieb keine Zeit, ihn als reines Hobby zu verfolgen. Immerhin mussten sie Geld verdienen. Heute können nur wenige vom Fußballspielen leben, allerdings schafft nun die daran anknüpfende Industrie Arbeitsplätze, und noch mehr Profit. Die immense Kommerzialisierung wurde von den oberen Schichten im Westen vorangetrieben. Maskuliner Körperkult gepaart mit Masseneuphorie im Stadion und bei Public-Viewing-Veranstaltungen, dazu eine Prise Lokalpatriotismus und voilà: Geboren wurde ein Kulturphänomen, ebenso banal wie auch politisch.

Doch eine Mannschaft ist nichts ohne ihre Fans. In seinen Büchern über Fußballfan-Graffiti unterscheidet Velikonja drei Gruppen: die normalen, unorganisierten Fans, radikalere Ultras und schließlich die gewaltbereiten Hooligans. Obwohl gelegentliche Ausschreitungen bei Spielen überall vorkommen, erlangen sie in den Communitys der jugoslawischen Nachfolgestaaten immer wieder traurige Berühmtheit. Die bis heute bestehenden ethnischen Spannungen, die während der Kriege in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreichten, entladen sich oft beim Aufeinandertreffen rivalisierender Fangemeinden. Die Ekstase der Fans wandelt sich dann zum Blutrausch. Einer dieser Kämpfe machte sogar Geschichte.

Das Spiel, das niemals stattfand

Am 13. Mai 1990 traf das Team Roter Stern Belgrad im Zagreber Maksimir-Stadion auf das kroatische Heimteam Dinamo. Bis heute zählen die beiden Teams zu den beliebtesten Mannschaften in der Region. Mit dabei sind auch ihre Ultras, die kroatischen Bad Blue Boys und die serbischen Delije. Bereits tagsüber kam es zwischen ihnen zu Schlägereien in der Stadt. Als Delije-Anhänger*innen vor Anpfiff die Tribüne demolierten, stürmten die Bad Blue Boys das Spielfeld und lieferten sich ein Gefecht mit der jugoslawischen Polizei, rund 150 Personen wurden verletzt. Der gesamte Gewaltexzess wurde live im Fernsehen ausgestrahlt. Bis heute stilisieren die Bad Blue Boys diesen Tag als den wahren Kriegsbeginn. Tatsächlich marschierten viele der Ultras aus den jugoslawischen Republiken kurz darauf an vorderster Kriegsfront und gründeten Paramilizen. Heute weist eine Gedenktafel am Maksimir-Stadion auf den Vorfall vor über 30 Jahren hin.

Wettbewerb abseits des Stadions

Verglichen mit diesen Gewaltausbrüchen wirkt das Crossen von Gegner*innengraffiti und der damit verbundene Adrenalinkick wie ein Kavaliersdelikt. In seinen Gesprächen mit slowenischen Ultras stellte Velikonja fest, dass sich die Fans von verbreiteten Vorurteilen abgrenzen wollen. So zum Beispiel von ihrer vermeintlichen Einbindung ins organisierte Verbrechen, die zumindest teilweise bei den Fanclubs der südlichen Nachbar*innen besteht. Das heißt allerdings nicht, dass die slowenischen Ultras weniger radikal oder nationalistisch sind.

»Die Fans beteuerten oft, dass sie gegnerische Fans nicht als Feinde, sondern als Konkurrent*innen sehen. Sie teilen ihren Lebensstil und ihre Werte«, schreibt Velikonja. So verabreden sich Hooligans manchmal im Vorfeld von Spielen zu Schlägereien – quasi als Wettbewerb außerhalb des Spielfeldes. Das Vorurteil, sie alle seien politisch rechts, treffe laut Velikonja nicht zu: »Scheinbar mühelos verbinden sie politische Extreme in ihrer Fankunst, auch wenn der Großteil trotzdem eher rechts ist.« Eine bedeutende Minderheit ist aber auch links und tritt gegen Homo- und Transphobie ein. Sie alle verbindet eine Form des Lokalpatriotismus und die Ablehnung der Überkommerzialisierung von Fußball durch die FIFA und UEFA. »Fußball kann man nicht vom Sofa aus schauen«, erklärte ein slowenischer Ultra im Interview mit Velikonja. Ihre wahren Feinde seien vielmehr die Medien, die Polizei und gewisse Klubmanager*innen.

Diese Zu- und Abneigungen spiegeln sich an den Wänden wider. Graffiti ist eine Vereinnahmung des öffentlichen Raums, der wie auch der Fußball immer stärker kommerzialisiert wird. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, doch ein genauer Blick auf die Schriften und Bilder an städtischen Außenwänden lohnt sich. Sie werden vieles über die Menschen, die dahinter leben, erfahren.

 

Melanie Jaindl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDM. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen den Westbalkan, Migration und Asyl, intersektionaler Feminismus und soziale (Un-)Gerechtigkeit.

Balkan, Ukraine und Moldau nach Europa – sofort!

“„Gschichtn“ von Fußball, Freiheit und Zukunft” 

In seinem Kommentar fordert IDM-Geschäftsführer Sebastian Schäffer eine dringende Reform des EU-Beitrittsprozesses und erklärt seine Beweggründe für die Entstehung der “Gschichtn” über die Länder des (West-)Balkans, Ukraine und Republik Moldau. 

Eine dringende Reform des EU-Beitrittsprozesses  

Die EU-Erweiterung ist und bleibt das wichtigste Instrument zur Transformation auf dem europäischen Kontinent. In Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union heißt es wie folgt: 

 „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden.“ Konkret heißt das: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“  

Leider ist der Beitrittsprozess in den vergangenen Jahren immer technischer und langwieriger geworden. Einzelne Mitgliedstaaten nutzten ihre Möglichkeit, Fortschritte  auch ohne gerechtfertigte Gründe zu blockieren. Das geschah zu verschiedenen Zeitpunkten des Prozesses, etwabevor ein Land den Kandidatenstatus erhielt, bevor die Verhandlungen eröffnet wurden, bevor diese abgeschlossen wurden und dann auch noch vor der endgültigen Aufnahme. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Transformationskraft der EU. Der Austritt des Vereinigten Königreichs hatte ebenfallsEinfluss darauf. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass eine EU-Mitgliedschaft weiterhin für die betroffenen Länder attraktiv ist und die europäische Integration eines der wichtigsten politischen Projekte darstellt. Doch der Prozess muss dringend reformiert werden. Vorschläge dazu gibt es genug, doch es braucht mehr Mut, um die Aufgabe anzugehen. Der Sorge vor einer langen und schwierigen Vertragsrevision möchte ich entgegenhalten: Vom Vertrag von Nizza zum Vertrag von Lissabon – inklusive gescheitertem Verfassungsvertrag und zunächst negativen Volksentscheid in Irland – vergingen etwas mehr als sechs Jahre. Hätten wir direkt nach dem Brexit-Referendum den Mut gehabt, die Verträge und damit auch den Erweiterungsprozess zu reformieren, könnten wir dies bereits jetzt anwenden! 

“Balkan nach Europa – sofort!” 

Im Sommer 2020 fragte mich Erhard Busek, ob wir gemeinsam ein Buch zum Westbalkan schreiben wollen. Ich war sofort begeistert und habe recherchiert, was darüber von wem in den letzten Jahren publiziert wurde Gemeinsam mit einer Kollegin am IDM erstellten wir eine umfangreiche Liste von Titeln in mehreren Sprachen und kamen zu der Erkenntnis, dass es nicht unbedingt Bedarf für weitere umfassende Publikationen gibt. Zudem wurde das Projekt immer größer und es drohte langwierig zu werden. Erhard und mir verband eine gewisse Ungeduld im Hinblick auf die Umsetzung von Aktivitäten für unsere Region, was sicherlich für die Beteiligten nicht immer einfach ist. Die Plattform story.one bietet dieser  Möglichkeit relativ rasch ein Buch zu veröffentlichen und sich aufgrund der maximalen Zeichenanzahl einer Geschichte von 2500 Zeichen(es können höchstens 17 Geschichten in ein Buch) auf das Wesentliche zu beschränken. Somit hatten wir den geeigneten Rahmen für unser Projekt gefunden. Die „Gschichtn“ über Grenzen, Glauben und Grausamkeiten, über Fabeln, Frieden und Fußball verknüpften wir mit unserem Plädoyer  über die sofortige Aufnahme aller Westbalkanstaaten in die EU. 

Ein Frühjahr, das alles veränderte… 

Der 24. Februar 2022 war für uns alle ein Schock. Als dann die Ukraine und später auch die Republik Moldau sowie Georgien einen Beitrittsantrag zur EU stellten, haben wir begonnen zu überlegen, ob wir nicht eine Art Nachfolgepublikation schreiben sollten. Leider ist Erhard dann plötzlich am 13. März 2022 verstorben. Dieser neue Schock hat erneut unsere Prioritäten verschoben und das Projekt geriet in den Hintergrund. Als dann nach den Weihnachtsfeiertagen etwas Ruhe eingekehrt ist, holte ich die Idee wieder hervor und begann auszuprobieren, wie es sich anfühlt, das Buch alleine zu schreiben. Mir wurde rasch klar, dass es funktioniert. 

„Ukraine & Moldau nach Europa – sofort!“ 

„Ukraine & Moldau nach Europa – sofort!“ ist zunächst eine Verneigung vor Erhard Busek. Es ist auch eine Verbeugung vor den Menschen, die in der Ukraine für unsere Werte kämpfen. Ich versuche – ähnlich wie bei „Balkan nach Europa – sofort!“ – durch „Gschichtn“ von Fußball, Freiheit und Zukunft Zusammenhänge aufzuzeigen, Zugehörigkeit herzustellen, Zusammengehörigkeit zu veranschaulichen, Zusammenhalt zu vermitteln und damit hoffentlich dazu beitragen, dass die Zeitenwende, wie der 24. Februar 2022 weithin inzwischen bezeichnet wird, am Ende positive Assoziationen hervorruft. Anders als in der ersten Publikation ist aber hier kein konkretes Plädoyer für eine sofortige EU-Mitgliedschaft der Ukraine und/oder Moldau enthalten, weil es nicht mit den gleichen Vorschlägen, die wir im Hinblick auf die Westbalkanstaaten gemacht haben, umsetzbar ist. Ich wollte dennoch durch den Titel bewusst eine Kontinuität in der Arbeit des IDM darstellen.    

Ukraine & Moldau nach Europa – sofort!

„Ukraine & Moldau nach Europa – sofort!“ ist eine Verneigung vor dem 2022 verstorbenen Erhard Busek, mit dem der Autor „Balkan nach Europa – sofort!“ verfasste. Es auch eine Verbeugung vor den Menschen, die in der Ukraine für unsere Werte kämpfen. In seinem zweiten Buch bei story.one erzählt der Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) wieder „Gschichtn“ von Fußball, Freiheit und Zukunft.

Balkan nach Europa – sofort!

Erhard Busek (Vizekanzler a.D. und Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa – IDM in Wien) und Sebastian Schäffer (Geschäftsführer IDM) fordern die sofortige Aufnahme aller Westbalkanstaaten in die EU. Ihr Plädoyer verbinden sie mit “Gschichtln” über Grenzen, Glauben und Grausamkeiten, über Fabeln, Frieden und Fußball. So bilden die persönlichen Erlebnisse und Erinnerungen der Autoren auch ein Zeugnis ihrer Zeit.