Péter Techet for RTVS Pátria Rádió on the new far-right group in the European Parliament

According to media reports, a new far-right faction called “Sovereignists” will be established in the European Parliament after the other far-right group, “Identity and Democracy” (ID) had expelled the “Alternative for Germany”. The new faction will include MEPs from Central and Eastern Europe as well, namely from Hungary, Slovakia, Bulgaria and Poland. Péter Techet spoke about the fragmentation of the anti-EU, far-right forces in the Hungarian-language program of Slovak public broadcasting.

The entire interview (in Hungarian) can be heard here.

In Belgrads Straßen sind Geheimnisse nicht sicher

In Absprache mit China montierte das serbische Innenministerium tausende Kameras zur biometrischen Gesichtserkennung. Trotz der versuchten Geheimhaltung, fand die Zivilgesellschaft ihre Standorte und technischen Spezifika heraus, wie DANILO KRIVOKAPIĆ in seinem Gastbeitrag erklärt. 

Nach drei Jahren harter Verhandlungen verabschiedete die Europäische Union 2024 ihr Gesetz zur Regulierung künstlicher Intelligenz (KI) und bestätigte dabei die Vorreiterrolle der EU in diesem Bereich. Vor dem globalen Hintergrund stellt das Gesetz einen mutigen Schritt dar, denn wie aus unserer kürzlich durchgeführten Untersuchung „Beyond the Face: Biometrics and Society“ hervorgeht, gibt es nur wenige bis gar keine umfassenden rechtlichen Bemühungen, den Einsatz von KI in ihrer schädlichsten Form – der menschlichen Gesichts- und Verhaltenserkennung – einzudämmen. Ob in den Vereinigten Staaten, Australien, China, Brasilien, Südafrika oder den Vereinigten Arabischen Emiraten: Die jeweiligen Vorschriften decken die Risiken der bereits eingesetzten Technologien nicht einmal ansatzweise ab.  

Menschenrechtsorganisationen in Serbien äußern ebenfalls Bedenken über die Transparenz, menschliche Aufsicht und den Datenschutz in Bezug auf die vorgeschlagenen oder verabschiedeten KI-bezogenen Gesetze. Als EU-Beitrittskandidat übernimmt Serbien nach und nach EU-Rechtsstandards, doch bei deren effektiven Umsetzung und insbesondere im Bereich der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und der Korruption bestehen weiterhin Probleme. Die jüngsten globalen Entwicklungen haben die Situation im Land noch komplexer gemacht. Die politischen, wirtschaftlichen und technologischen Einflüsse aus Russland und China setzen Serbien weiteren geopolitischen Spannungen aus.  

Unter dem Vorwand der Sicherheit 

Anfang 2019 kündigten die serbischen Behörden Pläne zur Einführung eines Systems zur Gesichts- und Nummernschilderkennung an, das die gesamte Hauptstadt Belgrad erfassen sollte. Solche Maßnahmen würden die Sicherheit der Bürger*innen gewährleisten und die Regierung betonte, dass die ständige automatische Überwachung „nicht missbraucht werden kann“. Details bezüglich technischer Einzelheiten, finanzieller Auswirkungen, angestrebter Ziele oder Vorkehrungen zum Schutz vor möglichen Menschenrechtsverletzungen gab sie jedoch nicht bekannt. Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, die über Anträge auf Informationsfreiheit versuchten an Informationen zu gelangen, wurden abgewiesen. 

Der SHARE Foundation ist es dennoch gelungen, die Hintergründe zumindest teilweise aufzuklären. Im Rahmen eines stillen Abkommens über die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit zwischen Serbien und China entstand die Initiative „Sichere Gesellschaft“, die Informations- und Kommunikationstechnologien stärken und die Sicherheit von Bürger*innen verbessern sollte. Huawei, der damalige Hauptpartner der Initiative, veröffentlichte unbeabsichtigt Details: Eine Fallstudie auf der Website des Unternehmens beschrieb die technischen Besonderheiten der Systeme und verwies auch auf den Kontakt mit dem serbischen Innenministerium. Nachdem die Medien darüber berichteten, entfernte Huawei die Fallstudie umgehend.  

Die Hauptkritik an diesen Maßnahmen ist das völlige Fehlen einer vorhergehenden öffentlichen Debatte über die Notwendigkeit eines solchen Systems und über die spezifischen Probleme der öffentlichen Sicherheit, zu deren Lösung es beitragen sollte. Die ständige und wahllose Überwachung öffentlicher Räume verstößt an sich gegen die Verfassungsbestimmungen zum Schutz der Menschenrechte und es gab keine Begründung, warum eine Ausnahmeregelung erforderlich ist. Nichtsdestotrotz begannen die Behörden mit der Installation der intelligenten Kameras in Belgrad, insbesondere zu Beginn der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020, als die öffentliche Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt wurde. 

Netz aus Kameras 

Aufgrund der fehlenden offiziellen Angaben nahm die Öffentlichkeit die Ermittlung der Standorte der intelligenten Kameras selbst in die Hand. Die Bürgerinitiative #ThousandsOfCameras (#hiljadekamera) erstellte eine Karte, auf der die verifizierten Standorte, die Anzahl und die technischen Daten dieser Kameras verzeichnet waren. Diese Karte unterschied sich sehr deutlich von der Liste der Kamerastandorte, die die Polizei später veröffentlichte. Auf ihr wurden dreimal weniger Kameras in Belgrad angeführt. Nachdem sich der öffentliche Druck auf sie erhöhte, aktualisierte die serbische Polizei ihre Liste, veröffentlichte sie aber nie in Form einer Karte, sondern lediglich die Namen von Straßen und Kreuzungen. 

Um das Bewusstsein für die Kameras in der Öffentlichkeit zu schärfen und dem vorherrschenden Narrativ entgegenzuwirken, brachten Aktivist*innen auffällige Aufkleber mit QR-Codes an Kameramasten an. Auch von der Überwachung inspirierte Kunstinstallationen tauchten überall in der Stadt auf. Eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne machte sogar eine eigene Modekollektion, #hiljadekamera, beliebt, während Websites, kurze Videodokumentationen und Podcasts sich dem Thema widmeten. 

Ende des Sommers 2021 verlagerten sich der Diskurs und die Sorgen rund um die biometrische Überwachung in Serbien auf die legislative Ebene. Das Innenministerium leitete eine als öffentlich bezeichnete, aber unauffällige Debatte über ein vorgeschlagenes neues Polizeigesetz ein, das gesetzliche Bestimmungen für den Einsatz biometrischer Massenüberwachung vorsah. Lokale Menschenrechtsorganisationen erhielten erhebliche Unterstützung von globalen und regionalen Organisationen gegen dieses Vorhaben und innerhalb von zwei Tagen zog das Ministerium den umstrittene Vorschlag zurück. Damit tauchte Serbien auf der Landkarte des weltweiten Kampfes gegen biometrische Überwachung auf.  

Ein unheimlicher Trend 

Biometrische Technologie verwendet menschliche Merkmale zur Identifizierung von Personen. Werden diese Systeme im öffentlichen Raum eingesetzt, kann dies als biometrische Massenüberwachung betrachtet werden. Sie beruht auf der willkürlichen Erfassung, Verarbeitung oder Speicherung sensibler biometrischer Daten in großem Maßstab ohne Kontrolle oder Wissen der jeweiligen Personen. Expert*innen und Aktivist*innen warnen immer wieder, dass dies die Grundrechte und -freiheiten unangemessen einschränkt. Das Gefühl, ständig überwacht zu werden, habe eine Abschreckwirkung und könne dazu führen, dass Menschen weniger am öffentlichen Leben teilnehmen.  

Im Buch „Beyond the Face: Biometrics and Society“, das im Dezember 2023 auf der Tactical Tech in Berlin und im Europäischen Parlament)vorgestellt wurde, untersuchen die Autor*innen die Verwendung biometrischer Massenüberwachung, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Risiken, die sie für Menschen und insbesondere gefährdete Gruppen auf der ganzen Welt, darstellen. Betrachten wir die rasanten Entwicklungen in diesem Bereich, ist die Studie keineswegs vollständig. Sie bietet aber eine umfassende Momentaufnahme des weltweiten Status quo der biometrischen Überwachung im Jahr 2023. Zudem gibt sie einen Überblick über dokumentierte Fälle aus den Bereichen Polizeiarbeit, Grenzkontrolle und Crowd Management aus Myanmar, Großbritannien, Frankreich, den USA – und Serbien. 

Zurzeit ruht der zivile Kampf um öffentliche Räume frei von willkürlicher Überwachung in Serbien. Mehrere Verantwortliche wurden entlassen und Gesetzesentwürfe zur Überarbeitung zurückgezogen. Das KI-Gesetz der EU bringt etwas Erleichterung, da es neue Maßstäbe für risikobasierte Schutzmaßnahmen setzt und dringend benötigte neue Perspektiven aufzeigt. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, inwieweit dieses KI-Gesetz die serbischen Gesetzgeber*innen beeinflussen wird. Denn es scheint sicher, dass die Regierung ihr Bestreben nach teurer und komplexer biometrischen Massenüberwachung nicht völlig aufgegeben hat. Sie sieht sich in den globalen Trends zur Versicherheitlichung der Gesellschaft bestätigt, die die Unterschiede zwischen Demokratien und autokratischen Regimen verwischen. Und obwohl keine Rechtsvorschriften erlassen wurden, werden immer noch in ganz Serbien biometrische Überwachungssysteme installiert. 

Und so hängen weiterhin Tausende von intelligenten Kameras über unseren Köpfen, auf unseren Straßen und Plätzen, und erinnern uns auf unheimliche Weise daran, dass unsere Körper nur einen Klick davon entfernt sind, zu digitalisierten Objekten in einem dystopischen Experiment zu werden.  

 

Danilo Krivokapić ist Direktor der SHARE Foundation, einer in Belgrad ansässigen Organisation für digitale Rechte. Er ist Mitbegründer der Initiative #hiljadekamera, die sich für den verantwortungsvollen Einsatz von Überwachungstechnologie einsetzt. 

IDM at the 11th Danube Participation Day

On 19 June the 11th Danube Participation Day took place in TU the Sky Vienna. During the Agora, participants were invited to present their current projects and NGOs. The IDM, represented by Research Associate Sophia Beiter and trainee Francesco Danieli, used this opportunity to present the project EUact2!

Here you can find our presented poster: EUact2 posters

Here you can find all presented projects in the Online Agora.

Péter Techet for Napunk (DenníkN) on Orbán and Meloni

For “Napunk”, the Hungarian-language version of the Slovak daily newspaper “DenníkN”, Péter Techet analysed why Giorgia Meloni had rejected Viktor Orbán’s Fidesz party’s membership in the ECR (European Conservatives and Reformists). Meloni wants to present herself as moderate in the European politics and therefore is not interested in cooperating with Orbán. It remains unclear which party group the Fidesz party will then be able to join.

The full article (in Hungarian) can be read here.

eTwinning Seminar: Energizing Education in the Danube Region

As part of the eTwinning seminar ‘School cooperation in the Danube Region’, Rebecca Thorne gave a presentation entitled ‘Energizing Education in the Danube Region’ on the energy transition in the region and how this is relevant to teachers, schools and their students.

The conference took place in Krems on 13 and 14 June 2024 and was organised by the Austrian National Agency for Erasmus+ Education (OeAD), bringing together teachers and representatives of eTwinning agencies from across the region. The aim of the conference was to strengthen transnational cooperation among teachers and schools.

Sebastian Schäffer und Sophia Beiter über die EU-Wahlen im Courrier International

Der Presse-Artikel „Bitte ein Spitzenprogramm statt Spitzenkandidaten“ von Sebastian Schäffer und Sophia Beiter wurde ins Französische übersetzt und erschien kurz vor den EU-Wahlen in der Zeitung Courrier International.

Hier finden Sie den französischen Text.

Und hier das Original.

Analyse der Europawahl in der Stadtakademie

Fotocredit:  Stadtakademie

Am 12. Juni 2024 fand im Urban Hub im cowerk eine von der Stadtakademie Wien organisierte Veranstaltung zur Nachlese der Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Nach einer umfassenden Analyse der Wahlergebnisse durch den Markt- und Meinungsforscher Dr. Peter Hajek  diskutierten Prof. Karl Jurka, Europaexperte und Politikberater, MMag. Markus Figl, Präsident der Stadtakademie und Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, sowie IDM-Direktor Mag. Sebastian Schäffer, MA über die Veränderungen im Europäischen Parlament sowie die politischen Trends und Strömungen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Moderiert wurde die gut besuchte Veranstaltung von Mag. Elisabeth Mayerhofer. 

Webinar: The impact of enlargement on EU’s migration and asylum policy

On 3 June 2024, Melanie Jaindl was invited as a speaker to the webinar “The impact of enlargement on EU’s migration and asylum policy” organized by Equipo Europa. The session was moderated by Inés Satué Crespo.

In the webinar, Melanie Jaindl discussed with Gaia Romeo (PhD candidate in the Centre for Migration, Diversity and Justice of the Brussels School of Governance) and Marissa Weigle (Associate Policy and Liaison Officer at ICMPD’s Brussels Mission) about the impact of the New Pact on candidate countries, especially the Western Balkans, their adoption of relevant documents as well as the potential future of migration policies in an enlarged Union.

US Authorizes Ukraine to Strike Russian Targets: Expert Analysis on Moscow’s Response

ED News contacted IDM Director Sebastian Schäffer regarding the US permission to Ukraine to attack Russian territory with its weapons. Schäffer’s response was used in the article above, here is his full answer:

First of all it is not only a good idea, but a necessity to protect the people in Ukraine from the unjustified aggression of the Russian Federation. International law is also crystal clear, Kyiv can strike targets anywhere in Russia to prevent further attacks. That does of course not justify destroying civilian infrastructure like power plants, something that Moscow has been doing for 830 days and counting in whole Ukraine, especially intensifying these heinous war crimes recently. I have personally witnessed what just a few weeks of Russian occupation mean and I unconditionally would enable Ukraine to defend itself. Why the US and also European states like Germany have not allowed this until now eludes me. The decision comes late, has cost a lot of lives and caused immense damage and suffering, but better than never. I do not understand why it has taken so much time and I also do not see any particular reason for this change in policy, however, I do not believe that the fear of becoming a belligerent and/or the reaction from Russia was the primary reasoning behind it. Putin and his cronies have constantly threatened with consequences, nuclear strikes on Western cities are discussed on television, but we must not let us be intimidated by the regime in Moscow. The nuclear doctrine of the Russian Federation is quite clear, so is the retaliation should NATO territory be targeted, and as for Ukraine, I wonder what severe consequences should they fear? Sure there is always a possibility to further escalate, but the people in Ukraine are fighting for their survival, as Putin aims to annihilate the Ukrainian state.

Nostalgie im Kleiderschrank?

Litauen erlebt einen Secondhand-Boom. Warum sich gebrauchte Mode großer Beliebtheit erfreut, die Gründe aber eher praktisch als sentimental sind, erklärt MILANA NIKOLOVA in ihrem Gastbeitrag.

Im Herzen der Altstadt von Vilnius ist es nicht schwer, Souvenirs und Replika aus der Sowjetzeit zu finden. Das Angebot reicht von Pins über Münzen bis hin zu Filmplakaten und militärischen Antiquitäten. Tourist*innen der litauischen Hauptstadt greifen gerne zu diesen Erinnerungstücken, während sich die Begeisterung der Einheimischen zurückhält. Tatsächlich sind kommunistische Symbole in Litauen seit 2008 verboten, doch das Verbot gilt nicht für Bildungszwecke oder den Handel mit Antiquitäten. Daher ruft auch der Vilnius Collectors’ Club einmal in der Woche zum Verkauf von Gegenständen aus der kommunistischen Ära auf. 

Abgesehen von Souvenirshops finden Bummler*innen auch zahlreiche Secondhand-Läden. Die weltweit steigende Beliebtheit gebrauchter Ware und Mode macht auch vor den baltischen Staaten keinen Halt. Es gibt unterschiedliche Gründe für diesen Trend, darunter Nachhaltigkeit, Erschwinglichkeit, oder die Suche nach besonderen Einzelstücken. Doch steckt hinter dem Hype für Vintage auch ein Hauch von Nostalgie?  

Tatsächlich ist Litauen eines der post-kommunistischen Länder, das am wenigsten von nostalgischen Gefühlen für die Vergangenheit geprägt ist. Gleichzeitig ist es ein Land, in dem Secondhand-Shopping besonders beliebt ist. Eine der weltweit bekanntesten Start-ups für den Wiederverkauf von Gebrauchtware, Vinted, hat seinen Hauptsitz in Vilnius.  Zuletzt wurde der Wert des Unternehmens auf 4,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Anfang 2023 belief sich die Zahl aktiver Nutzer*innen auf der App in der EU auf 37,4 Millionen. 

Neu kaufen war gestern 

Das Konsumverhalten in weiten Teilen der westlichen Welt änderte sich zwischen 2019 und 2023 deutlich. Einer Umfrage von Statista Consumer Insights zufolge stieg der Anteil der Befragten, die zumindest einmal im vergangenen Jahr gebrauchte Ware kauften, in diesem Zeitraum im Vereinigten Königreich von 50% auf 61%, in Frankreich von 40 % auf 57% und in Deutschland von 41% auf 55%. Für Mittel- und Osteuropa gibt es noch keine vergleichbaren Erhebungen, aber in einigen Ländern der Region kann ein ähnlicher Trend festgestellt werden. So wuchs in Polen der Markt für gebrauchte Kleidung laut dem Unternehmen ThredUp im Jahr 2022 um 18%. In einem Euronews-Bericht aus demselben Jahr heißt es, dass Secondhand-Läden in Tschechien insbesondere nach der Pandemie und aufgrund der steigenden Inflation an Beliebtheit zunahmen. Auch online interessierten sich im Zeitraum 2019 bis 2023 mehr Menschen für Gebrauchtware als für neue: 94% der Europäer*innen suchten auf Amazon zuerst nach gebrauchten Artikeln, bevor sie auf neue zurückgriffen, so eine Untersuchung des Online-Händlers. 

Vintage in Litauen: jung und weiblich 

Forscher*innen der LCC International University und des Klaipėda State College untersuchten im Jahr 2023 Kund*innen, Beschäftigte und Spender*innen von litauischen Secondhand-Läden. Anhand von Umfragen und Interviews fanden sie, dass rund 90% der Befragten weiblich waren, rund 40% waren zwischen 18 und 25 Jahre alt, und jeweils 17% entweder zwischen 26 und 30 Jahre oder zwischen 36 und 45 Jahre alt. In Litauen sind es demnach insbesondere junge Frauen, die sich für Secondhand-Shopping begeistern. 

Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass Käufer*innen in erster Linie aufgrund des niedrigeren Preises und einzigartiger Fundstücke Secondhand-Läden aufsuchen, während Spender*innen von Kleidung mehr von dem Gedanken an die Wiederverwendung von Ressourcen angetrieben werden. Die Studie kam auch zu dem Schluss, dass Secondhand-Läden längerfristig positive Auswirkungen auf die Umwelt haben können, wenn sie ihre Kund*innen und die Öffentlichkeit für die Vorteile des Secondhand-Konsums sensibilisieren. Ieva Zilinskaites, Forscherin für Nachhaltigkeit an der Universität Lund, beobachtet eine schnell wachsende Slow-Fashion-Szene in Litauen, die der Wegwerfgesellschaft und Ausbeutung von Textilarbeiter*innen entgegentreten möchte. 

Kein Platz für Nostalgie 

Auch wenn der ein oder andere Secondhand-Laden und Flohmarkt kommunistische Memorabilia verkauft, hat der Trend zu Gebrauchtware in Litauen nichts mit Nostalgie zu tun. Eine Erhebung des Pew Research Centers aus 2016 zeigt, dass Litauer*innen kaum zur kommunistischen Nostalgie neigen. Nur 23% denken, dass die Auflösung der Sowjetunion negative Folgen für ihr Land hatte. Unter den ehemals sowjetischen Ländern zeigt nur die Estland ein geringeres Maß an Nostalgie. Im Gegensatz dazu ist die Nostalgie in Armenien am größten, wo 79% der Menschen den Zusammenbruch der Sowjetunion bedauern, gefolgt von Russland mit 69%. 

Die vergleichsweise geringe Nostalgie der Litauer*innen überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass Litauen die erste Sowjetrepublik war, die ihre Unabhängigkeit wiedererlangte und seither bemerkenswerte wirtschaftliche Fortschritte verzeichnet. Auch die Mitgliedschaft in der NATO, in der EU und in der Eurozone hat sich das Land erfolgreich gesichert. Doch was ist mit den verbleibenden 23%, die der Sowjetunion ein besseres Zeugnis ausstellen? In einem Interview mit dem litauischen Rundfunk sagt Ainė Ramonaitė dazu: „Die ersten Jahrzehnte der Unabhängigkeit waren schwierig. Doch wir sprechen nicht über die Folgen der Wende, wir schweigen und sagen, wenn jemand Probleme hatte, ist das ihre Sache.“ Die Professorin am Institut für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Universität Vilnius vertritt die Auffassung, dass diese Gefühle andauern, bis die Traumata aus den Jahren nach der Wende aufgearbeitet werden. 

Vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine mache es aber schwierig, über die Sowjetzeit zu sprechen. „Die meisten sagen, das diene der russischen Erzählung. Es hilft allerdings auch nicht in offiziellen Diskursen zu schweigen, denn die Leute reden sowieso“, so Ramonaitė. Nostalgie für die Sowjetzeit bedeute nicht gleich, dass Menschen prosowjetische Einstellungen teilen, sondern, dass sie auch von der darauffolgenden Transformation nicht profitierten. In der Tat sind nostalgische Gefühle für die Sowjetzeit vor allem in weniger wohlhabenden und ländlichen Gegenden Litauens verbreitet. In ihnen hat sich das Leben seit der Wende nicht so stark verbessert wie in den Städten. 

Secondhand hat viele Facetten 

Auch Secondhand-Mode ist historisch gesehen mit Klasse und sozialer Ausgrenzung verbunden. Die von der LCC International University und dem Klaipėda State College durchgeführte Studie spiegelt diese Realität wider. Aus den gesammelten Daten geht hervor, dass rund 33% der Gebrauchtwarenkäufer*innen Teilzeitbeschäftigte waren, während 20% arbeitslos waren. 38% verdienten weniger als den Mindestlohn von 430 Euro.  Weitere 22% gaben an, dass das monatliche Budget ihrer Familie zwischen 1400 und 2000 Euro liege und damit unter dem durchschnittlichen monatlichen Haushaltseinkommen des Landes, das laut OECD im Jahr 2022 2.074 Euro betrug.   

Obwohl es einen Zusammenhang zwischen geringerem Wohlstand und einer stärkeren Neigung zur Nostalgie sowie dem Kauf von Gebrauchtwaren zu geben scheint, wäre es zu einfach, die Faszination der Litauer*innen für Secondhand-Mode ausschließlich auf Sowjet-Nostalgie zurückzuführen. Ähnlich wie bei den weltweit zu beobachtenden Trends sind die Manifestationen dieses Einkaufens in Litauen vielfältig und reichen von sowjetischen Gimmicks auf den Straßenmärkten von Vilnius bis hin zur Schaffung eines der international bekanntesten Start-ups für gebrauchte Mode. Je weiter der Trend voranschreitet, desto deutlicher wird, dass die Vorliebe der Litauer*innen für Secondhand-Mode ein komplexes Zusammenspiel von Werten und Bestrebungen widerspiegelt, das von wirtschaftlichen Faktoren über Umweltbewusstsein bis hin zu Kreativität und Unternehmergeist reicht. 

 

Milana Nikolova ist Journalistin. Sie arbeitet und lebt in den Niederlanden, wo sie auch ihr Masterstudium in European Studies absolvierte.