Die Zukunft von Bosnien und Herzegowina? Aus der Sicht der betroffenen Eliten

Eine Studie über die Einstellungen und Meinungen von Vertretern führender Bevölkerungsgruppen in Bosnien und Herzegowina zur zukünftigen Entwicklung ihres Landes

Projektziel:

 

Projektträger: IDM – Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, Wien; Autoren der Studie: Dr. Alfred C. LUGERT, fmr. Associate Professor of Political Science, University of New Orleans, und Prof. Dr. Werner VARGA, Univ.- Lektor an der Wirschaftsuniversität Wien. Finanziert durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank

 

Teil A. Analysen und Forschungsbericht von Dr. Werner Varga

„Wir haben alle verloren“, so lautet ein Tenor der Befragten. Angesichts dessen scheint das Leben im alten Jugoslawien wie ein verlorenes Paradies – dort gab es, was es heute kaum gibt: Sicherheit – physisch und materiell, Arbeitsplätze und Zukunftsaussichten aufgrund der gesicherten Sozialleistungen, aber auch Reisefreiheit. Dieses „goldene Zeitalter“ ist vorüber. Besonders betroffen sind die Befragten davon, dass Länder, die (in ihrer Entwicklung) deutlich hinter BiH rangierten, jetzt vor dem Land liegen und – wie Rumänien und Bulgarien – nunmehr vor der Aufnahme in die EU stehen, während das eigene Land nicht einmal die Zusage zu Beitrittsverhandlungen erreichen konnte. Ausgangspunkt dieser retrograden Entwicklung bildete die Politik Milosevics, mit ihrer anti-demokratischen, nicht marktwirtschaftlichen Ausrichtung, die den Ansatz, eine Konföderation zu bilden, versperrte. Aus der Sicht vieler – meist muslimischer Politiker – ergab sich daraus zwischen 1988 und 1992 ein „window of opportunity“, das es rasch zu nützen galt. Die serbische Seite sah hingegen keine dringende Notwendigkeit zu raschen Veränderungen. Sie hatten „ihr Jugoslawien“. In dieser Zeit kam es wohl auch zu einer Fehleinschätzung auf Seiten der EU. „Es war so, dass die EU uns zu jener Zeit drängte, ein Referendum abzuhalten. Anschließend zeigte sie uns den Rücken.“, sagt einer der muslimischen Zeitzeugen. Damit war die sich bildende junge Demokratie – mit ihren neu entstehenden Parteien –überfordert. Zudem war kurz zuvor die „völlige Gleichberechtigung der Völker im Präsidium von BiH, ohne Rücksicht auf ihre Zahl“ beschlossen worden. Dies ist bis heute eines der theoretisch und praktisch ungelösten Probleme des Landes, die Überschneidungen zwischen dem kollektiven, die Nationalität bewahrenden Rechtsansatz und dem demokratischen, auf den Einzelnen ausgerichteten Bürger-Recht. Im Dayton-Friedensschluss festgeschrieben, blockieren die Vitalen Nationalen Interessen (kollektiver Rechtsansatz) die Entwicklung und Organisation des Staates. Die „monströsen Strukturen des bosnischen Staates“ sind eines der Resultate, das Fehlen eines „bosnischen Bürgers“ ein weiteres. „Ich weiß nicht, von welchem Bürger sie reden“, war eine der Antworten, „vom Bürger Serben, von den Bürgern Kroaten, den Bürgern Bosnijaken-Muslime oder jenen, denen die Nationalität kein Anliegen ist“. Die sog. Internationale Gemeinschaft (IG) sehen die bosnischen Gesprächspartner als ein Problem sui generis. Viel zu häufig, so wird geklagt, werden die Interessen der einzelnen Länder vertreten, die einander entgegengesetzt oder zumindest nicht kompatibel sind. Im Rechtssystem z.B. wollen die USA anglo-sächsisches Recht angewendet sehen, die Europäer das kontinentale Rechtssystem. Während die USA die Gesamtheit der Medien privat sehen wollen, passen den Europäern öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten durchaus ins Konzept. Zwar wird generell anerkannt, dass das Office des High Representative notwendig war, aber nicht alle sind der Meinung, dass es noch immer notwendig ist. Die Machtfülle des OHR ist insofern ein Ärgernis, als der HR sie nicht entschieden einsetzt. Dazu kommt, dass diese „Machtfülle“ (Bonn-Powers) nicht das Produkt eines konsistenten Plans, sondern ein Stückwerk einzelner ad hoc Entscheidungen ist. So hat das OHR den Friedensvertrag als „Dayton proper“ mit Klauen und Zähnen geschützt, und jene aus ihren Ämtern entfernt, die dagegen opponierten. Heute wird „Dayton proper“ vom OHR nicht nur nicht verteidigt, sondern die Beachtung der „Europäischen Werte“ erwartet. Aber gerade die Werteübereinstimmung innerhalb der sog. Internationalen Gemeinschaft ist oft nicht gegeben. Generell ist festzustellen, dass das OHR außerhalb jeglichen Rechtrahmens agiert – seine Entscheidungen nicht transparent sind, und er durch den „Sintra Peace Implementation Council (PIC) zu wenig kontrolliert wird. (Ein Land zur Demokratie zu führen ist kein Halbtags-JOB!). Wir sind nicht AFRIKA! Dieser Ausspruch eines Interviewpartners steht für ein weiteres Dilemma der IG: der Qualität und dem Auftreten ihrer, meist jungen, Repräsentanten. Die Klage wird darüber geführt (neben der Arroganz der Jugend im Auftreten), dass häufig junge Theoretiker, Universitätsabgänger lediglich mit Lehrbuchwissen sendet, während man Praktiker benötigen würde, das theoretische Wissen sei vorhanden, „wir sind ja nicht in …..“ Ein Neustart BiHs bedarf der Versöhnung – davon zeigen sich viele überzeugt. Doch Verbrechen und Verbrecher müssen bestraft werden. Es waren nicht „die …“Serben“, „die Kroaten“ die Muslime“, sondern Einzelne. Gefordert wird eine „objektive Wahrheit“. Was ist Propaganda, was Wahrheit – dies ist vielen nicht klar. Darüber hinaus benötigt der „Bosnier“ eine verbesserte Kommunikation zwischen den Nationalitäten..

Teil B. Analysen und Forschungsbericht von Dr. Alfred C. Lugert

BIH und die nationale Frage: Ein zukunftsorientierter Lösungsansatz der nationalen Frage und der Reduktion eines antagonistischen Nationalismus, wird – abgesehen von der grundlegenden Verbesserung der wirtschaftlichen Lage – auch in der Verbesserung der unsicheren emotionalen Befindlichkeit der Befragten in ihrer eigenen Volksgruppe, sowie in der wechselseitigen Respektierung der Volksgruppen und ihrer Kultur und unterschiedlichen Bezeichnung der Landessprache(n) gesehen.

Beziehungen zu den Nachbarstaaten: Eigenpositionierungen und positive und negative Einstellungen zu den Nachbarländern Kroatien und Serbien (SCG) zeigen deutliche nationale Differenzierungen, sowie auch eine – trotz aller mentalen Vorbehalte vorhandene – Identifikation mit dem staatlich definierten Territorium BIH. Die Zukunft von BIH wird auch im hohen Maße in der Abhängigkeit von der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Serbien und in Kroatien (auch hinsichtlich EU, Kosovo, Montenegro etc.) gesehen. Mediensituation: Die Mediensituation wird meistens negativ gesehen. Den Medien in Bosnien und Herzegowina wird ein sehr grosser nationaler bis nationalistischer Einfluss auf die Bevölkerung zugesprochen; besonders wird aber auch zwischen den politischen Entscheidungsträgern und den Medien ein besorgniserregender starker wechselseitiger Einfluss gesehen. Ein Übergang vom früheren Mediensystem in Ex-Jugoslawien ist – wie in anderen gesellschaftliche Bereichen – in seiner ganzen Dimension schwer zu verarbeiten. BIH Regierungen, Politiker und politische Parteien: Die Beurteilung der verschiedenen Regierungen für die Zukunft des Landes fällt insgesamt schlecht aus. Die negativsten Stellungnahmen und Bewertungen erhielt die Regierung des Gesamtstaates von BIH. An zweiter negativer Stelle folgen die Regierungen der beiden Entitäten. Kantonsregierungen, die es nur in der Föderation von Bosnien und Herzegowina gibt, werden etwas besser beurteilt. Mehrheitlich positiv hingegen ist die Beurteilung der Bezirksverwaltungen. Den Politikern und den Parteien wird die Fähigkeit das Land in eine bessere Zukunft zu führen in den allermeisten Fällen abgesprochen. Nicht die internationale Gemeinschaft sollte die Hauptverantwortung für die Zukunft des Landes haben, sondern die Bürger des Landes selbst.

BIH und die Internationale Gemeinschaft:

Die überwiegende Mehrheit meint, dass die Ausländer die Probleme von BIH nicht verstehen. Die Leistung der Internationalen Gemeinschaft zur Lösung der Probleme in Bosnien und Herzegowina wird sehr differenziert, positiv und negativ, beurteilt. Oft wird die Meinung ausgesprochen, dass ein tatkräftiges Eingreifen der Internationalen Gemeinschaft den Krieg hätte verhindern können. Hier wird besonders die EU (resp. EG) sehr kritisiert. Die USA konnte mit ‚Dayton‘ den Krieg stoppen, ohne aber eine wirklich weiterführende Konzeption für Bosnien und Herzegowina zu erreichen. Die führend genannten Länder bei ihrer politischen Unterstützung und Hilfeleistung sind der Reihe ihrer Häufigkeit nach: An erster Stelle die USA, gefolgt von Österreich, EU-Staaten generell, Deutschland, Grossbritannien und Frankreich. Insgesamt findet man die Befürworter einer hauptsächlich europäischen Anbindung für die Zukunft – sowie die Befürworter einer gemischten Europa + USA Anbindung von Bosnien und Herzegowina – zu ungefähr gleich großen Teilen. Die zukünftige politische Organisation und Struktur von BIH: Bosnien und Herzegowina als akzeptierter ‚eigener‘ Staat wird in Frage gestellt. Nur ein geringer Teil der Befragten – meist sind es nur bosnische Serben – sind mit der derzeitigen. von ‚Dayton‘ vereinbarten politischen Organisation und Struktur des Landes in Form von zwei Entitäten halbwegs zufrieden. Am häufigsten genannt wird die Änderung der gegenwärtigen innerstaatlichen Struktur zu Gunsten einer ‚Regionallösung‘ durch Schaffung mehrerer – meist 5 – Regionen, die entweder ethnisch-nationale Mehrheiten beinhalten, oder aber nach rein ökonomischen und historisch-geographischen Gesichtspunkten zu bestimmen sind. Bildung und Schulen: Das Schulsystem ist eines der sozialen Felder, die eine sehr hohe Priorität in der Aufmerksamkeit und Besorgnis der Befragten einnimmt. Rund die Hälfte der Befragten sind mit dem Schulsystem unzufrieden. Der Wunsch die nationale Frage zu lösen, der Wunsch nach Erreichung der innerstaatlichen Toleranz – auch bei Trennung der Schulsysteme – sowie der Wunsch nach international anerkannter Qualität zum Wohle der jungen Menschen, wird deutlich. Die Versuche der Internationalen Gemeinschaft – und hier vor allem der OSZE – werden meist sehr negativ-kritisch beurteilt.

  • ProjektleitungUniv. -Prof. Dr. Ingfrid Schütz-Müller, Universität Wien

Nun sag’, wie hältst du’s mit der EU-Erweiterung?

Meinung der Europa-Abgeordneten zum EU-Beitritt der Westbalkanländer

“Balkan nach Europa – sofort” forderten Erhard Busek und Sebastian Schäffer in ihrem Appell an die Europäische Union. Doch wie lauten die Positionen der österreichischen EntscheidungsträgerInnen im EU-Parlament zur Frage der EU-Erweiterung?

Das IDM-Team wollte es genau wissen und bat die VolksvertreterInnen, ihre persönlichen Positionen, Visionen und Handlungsspielräume zu erläutern. Neun von insgesamt 18 Abgeordneten darunter MandatarInnen aller fünf Parteien haben uns geantwortet und ihre Sicht der Dinge dargelegt

Wie beantworten die PolitikerInnen die Gretchenfrage zur Zukunft unserer Nachbarschaft? Informieren Sie sich über die unterschiedlichen Positionen:

Othmar_Karas

Andreas_Schieder

Bettina_Vollath

Claudia Gamon

Lukas_Mandl

Harald Vilimsky

Monika Vana, Thomas Waitz und Sarah Wiener

Und wie würden Sie diese Fragen beantworten?

Opinion Piece (CoFoE): Enlargement: Western Balkans

Enlargement: Western Balkans


Sebastian Schäffer/ Emilie Laborel

While the EU aims to abolish borders, this impulse dried out after 2013, especially for the Western Balkans (WB6). The EU member states are reluctant when it comes to enlargement, despite the promise given at the Thessaloniki summit in 2003.

For almost 20 years, the WB6 demonstrated their readiness to join. They started official procedures and some became candidates. They reoriented policies and all are participating in initiatives to prepare to become a member (e.g. CEFTA, mini Schengen, etc.).

After Croatia’s accession, enthusiasm for enlargement within the EU itself waned in the last decade, despite the positive signal it sent. The EU failed to keep up the momentum. This could weaken the trust of the WB6 in the EU and lead them to soften efforts while other actors (Russia, China or Turkey) are offering a viable alternative to integration.

The EU focuses too much on the Copenhagen criteria to assess the WB6 applications. It is not productive to point out each year which one is not met, especially when EU members have trouble meeting them. They should be adjusted. The EU’s ambition for WB6 is predominantly economic, it should rather be political. The economic gap between the two regions has been worked on and EU membership could speed convergence. The EU is making the accession processes increasingly complex, which can be blocked by a single country. All countries need to become politically responsible. Therefore, the EU should integrate the WB6 immediately.

Get engaged in the discussion on this subject! Add your comment here.


What is Conference on the Future of Europe (CoFoE)?
It is an initiative of the European Parliament and the European Commission with an aim
to promote democracy, build a more resilient Europe and involve citizens as equal partners in the discussion on the future of the EU. Since 19 April 2021 also you can participate through the multilingual digital platform of the Conference.

The platform offers each European citizen the possibility to express their wishes for the future of Europe. Participating is easy: you can share your opinion, react to other citizens’ ideas, moderate your own events, or join live debates and workshops with other citizens. Don’t hesitate to engage in this exciting discussion to shape the Europe of the future!

Good Governance: Ein Demokratiemotor für den Westbalkan?

Wie gut ein Staat funktioniert, zeigt sich oft anhand unserer Erfahrungen im Umgang mit Behörden und Ämtern. Thomas PROROK weiß um die Probleme des öffentlichen Sektors in den Westbalkanstaaten. Der Verwaltungsexperte erklärt, an welchen Schrauben gedreht wird und warum Eigeninitiative und Transparenz dabei wichtig sind.

Zwei Drittel der BürgerInnen der Westbalkan-Länder* vertrauen ihren Regierungen und Parlamenten nicht. 71 % geben an, dass die Regierungen Korruption nicht effektiv bekämpfen. Diese Zahlen stammen aus dem neuesten Balkan Barometer, das jährlich die öffentliche Meinung in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien zu wichtigen Fragen von Politik und Wirtschaft erhebt. Es sind Zahlen, die nachdenklich machen, vor allem, weil sie sich in den letzten Jahren nicht verbessert haben. Gleiches gilt für die Worldwide Governance Indicators: Hier misst die Weltbank in fast allen Ländern der Welt verschiedene Aspekte der Regierungsführung und Verwaltung. Auf einer Skala von -2.5 (geringe Effektivität) bis 2.5 (hohe Effektivität) rangieren die Länder des Westbalkans im Kriterium Government Effectiveness bei -0,62 bis 0,01. Hierzu zählen zum Beispiel die Qualität der öffentlichen Services und des öffentlichen Dienstes. Der Vergleichswert Österreichs liegt bei 1,49. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit und politischer Mitbestimmung.

Abwanderung der Unzufriedenen

Die wohl dramatischste Konsequenz dieser Entwicklungen ist die Abwanderung, von der die gesamte Region betroffen ist. Die Weltbank sowie das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche haben zwischen 1989 und 2015 einen Bevölkerungsrückgang von 4,4 Millionen Menschen in der Region ausgemacht. Und das bei nur 18 Millionen BürgerInnen. Die Europäische Kommission hat die Problematik erkannt und 2020 eine EU-Erweiterungsstrategie für den Westbalkan inklusive Roadmap für das Funktionieren der demokratischen Institutionen und eine Verwaltungsreform präsentiert. Diese macht den Zusammenhang von funktionierenden demokratischen Strukturen und einer »guten« öffentlichen Verwaltung sichtbar: Good Governance ist ein wichtiges Fundament für die demokratische Prosperität eines Staates. Das KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung engagiert sich am Westbalkan gemeinsam mit seinen Partnern mit drei wichtigen Initiativen, die in der Folge kurz vorgestellt werden.

Zivilgesellschaft als Korrektiv

Das Projekt WeBER ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen des Westbalkans, welche die Fortschritte der Verwaltungsreformen in der Region überprüfen. Dabei legt das von der EU unterstützte Projekt besonderen Wert auf die Sichtweisen von BürgerInnen und der Zivilgesellschaft. Es verwundert nicht, dass insbesondere Transparenz, Partizipation und Offenheit der Verwaltung eingefordert werden. Die Ergebnisse sind zum Teil ernüchternd: So finden nur 13 % der befragten zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Region, dass die Entscheidungsfindung ihrer Regierung im Allgemeinen nachvollziehbar ist. Ein spezifischer Fokus liegt auf der Haushaltstransparenz, die sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. In allen Ländern gibt es zwar Bestrebungen, die Transparenz der öffentlichen Budgets zu verbessern – in Nordmazedonien und im Kosovo wurden hierfür sogar bürgerfreundliche Haushaltsportale ausgebaut – aber nur in Nordmazedonien wird das Jahresbudget auch im Open-Data-Format veröffentlicht. Nichtfinanzielle Leistungsinformationen finden sich lediglich in dem Haushalt Albaniens und Ansätze von Bürgerbudgets gibt es nur in Montenegro. Als besonders problematisch stellt WebER fest, dass die Angaben von Montenegro und Serbien 2017 und 2018 weniger transparent waren als zuvor und auch nur wenige funktionale Informationen (z.B. Mittel für Soziales, Bildung, Gesundheit) bereitstellten.

Sichtbarmachen von Fortschritten

Mit dem Städteverband Südosteuropas wurde eine Onlineplattform aufgebaut, die erstmals für alle Länder des Westbalkans zeitnahe, genaue, zuverlässige und vergleichbare Indikatoren und Informationen zur lokalen Governance zugänglich macht. Die benutzerfreundliche Visualisierung komplexer Daten erlaubt es, die Fortschritte in der Dezentralisierung und der lokalen Selbstverwaltung zu überprüfen. Darüber hinaus ist sichtbar, welche Budgets für die Städte und Gemeinden zur Verfügung stehen, um wichtige öffentliche Leistungen wie Bildung, Kindergarten, soziale Hilfen und Infrastruktur für die BürgerInnen zu erbringen. Diese Transparenz-Plattform zeigt eindringlich, dass die kommunale Budgetautonomie abnimmt. Im Durchschnitt gingen die Einnahmen der Gemeinden in Südosteuropa zwischen 2015 und 2017 um 0,5 % zurück. Der Anteil, über den die Gemeinden autonom entscheiden können, verringert sich, während der Anteil von zweckgebundenen Zuschüssen ansteigt. Zentrales Problem ist das Generieren eigener Einnahmen, welches durch häufige Änderung der Rechtsrahmen sowie veraltete Register erschwert wird. Dadurch verliert die Regional- und Gemeindeautonomie als wichtiger Ausgleichsmechanismus im staatlichen Machtgefüge sukzessive an Bedeutung.

Transparenz und Partizipation bewerten

Vor nunmehr 20 Jahren haben sich die MinisterInnen für öffentliche Verwaltung der EUMitgliedsländer auf ein gemeinsames Instrument zur Qualitätsverbesserung ihrer Services geeinigt. Seither firmiert unter der etwas sperrigen Bezeichnung CAF (Common Assessment Framework – deutsch: Gemeinsamer Bewertungsrahmen) ein mächtiges, aber in der Öffentlichkeit wenig bekanntes, Werkzeug zur Verwaltungsreform. Bei diesem europäischen Ansatz geht es darum, dass öffentliche Verwaltungen, also Ministerien, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen sowie Verbände oder öffentliche Unternehmungen, selbstständig und andauernd einen Verbesserungsprozess initiieren. Das heißt, diese warten nicht auf den nächsten Aufruf zur Verwaltungsreform, sondern werden selber aktiv: Sie hinterfragen regelmäßig die internen Abläufe und digitalisieren schrittweise ihre Behörden, sie fördern die Personalentwicklung auf höchstem Niveau, sie leben Partizipation, Transparenz und arbeiten kundenorientiert. Das alles erfordert eine neue Kultur der Offenheit in der öffentlichen Verwaltung und Politik der Länder des Westbalkans. Dass der CAF ein wirksames Instrument zur Verwaltungsreform ist, zeigt auch die Europäische Kommission: Bei den Beitrittsverhandlungen überprüft die Kommission die Umsetzung der rechtsstaatlichen Grundlagen, zu denen auch die Maßnahmen zur Verwaltungsreform zählen. Dabei stellt die Kommission (genauer die SIGMA Initiative von OECD und EU) auch dezidiert die Frage, ob der Bewertungsrahmen eingesetzt wird. Mit der Regional School for Public Administration (ReSPA) hat das KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung deshalb ein umfassendes CAF-Programm initiiert. Dieses führte den Bewertungsrahmen als neues Instrument der Verwaltungsreform in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien ein. Gemeinsam mit den zuständigen Ministerien dieser Länder wurden mit Unterstützung der Austrian Development Cooperation in den letzten Jahren insgesamt 19 CAF-Initiativen umgesetzt.

Demokratiemotor Good Governance

Diese drei konkreten Initiativen zeigen, dass Reformen der öffentlichen Verwaltung in Richtung Good Governance zur Stärkung der demokratischen Strukturen beitragen können. Besonderes Potenzial haben neben der Festigung der Rechtsstaatlichkeit und Servicequalität hierbei der Ausbau von Transparenz und die Einbindung von BürgerInnen sowie der Zivilgesellschaft. Dies ist notwendig, um Vertrauen und Legitimität in Verwaltung, Staat und Demokratie zu stärken. Klar ist aber auch: Die öffentliche Verwaltung kann hier nur einen wichtigen Beitrag leisten. Demokratie muss jeden Tag neu erkämpft werden und hierfür bedarf es der ehrlichen Unterstützung durch die politischen AkteurInnen.

zählen jene Staaten Südosteuropas, die noch nicht Mitglied der Europäischen Union sind: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien.

 

Thomas Prorok ist stellvertretender Geschäftsführer des KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung. Seine Expertise umfasst seit 20 Jahren die Themen Verwaltungsreform, Dezentralisierung, lokale Selbstverwaltung und EU-Integration. Er ist Mitglied des Vorstandes des IDM und des Beirates der Regional School for Public Adminstration des Westbalkans (ReSPA). Seit 2015 leitet er das BACIDProgramm zum Aufbau von Verwaltungskapazitäten im Westbalkan und der Republik Moldau.

IDM Short Insights 5 – Šejla Mujačić zur aktuellen Situation in Bosnien und Herzegowina

 

Šejla Mujačić berichtet in unserem Format IDM Short Insights über die aktuelle Lage in Bosnien und Herzegowina während der COVID-19-Pandemie aus Sarajevo.


 

flow – Festival of Conversation for Culture and Science

grenzüberschreitend. fachübergreifend. unkonventionell.

Projektziel:

flow stellt den multinationalen interdisziplinären Dialog von Kunst und Wissenschaft in den Mittelpunkt und hebt sich so ganz bewusst von herkömmlichen Festivals ab.

Elias Canettis Geburtsstadt Ruse, der wichtigste Donauhafen und Verkehrsknotenpunkt Bulgariens, war von 18. bis 21. Oktober Austragungsort des dritten biennalen flow Festivals. 2010 machte flow Station in Chişinău/Republik Moldau, 2008 in Novi Sad/Serbien.

Auch 2012 trafen wieder rund sechzig junge Künstler/-innen, Kulturschaffende und Wissenschaftler/-innen aus zehn Ländern entlang der Donau zusammen, um neue Netzwerke zu bilden und die Besonderheiten des Donauraums gemeinsam zu entdecken. Die Teilnehmer/-innen kamen aus Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Österreich, der Republik Moldau, Rumänien, Serbien, der Slowakei, Ungarn und der Ukraine. Das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA) ist Initiator von flow. Das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) hat im Herbst 2009 die organisatorische Abwicklung und Koordination des Festivals übernommen. Heuer wurde das IDM vor Ort durch die renommierte Internationale Elias Canetti Gesellschaft unterstützt.

2

3

5

10

7

9

6

8

4

1

Kunst und Wissenschaft bilden während des Festivals die Katalysatoren, um das außergewöhnliche Potenzial dieser Region freizulegen und es als Grundlage für interdisziplinäre Projekte im Donauraum zu nutzen. Die gedankliche Klammer für diesen kreativen Austausch bildete heuer das Generalthema “Activating Spaces, Activating People by Micro-Imagination“. Mehrere Workshops ermöglichten an zwei Tagen intensive Diskussionen in kleineren Gruppen. Als Inspirationsquelle gab es unterschiedliche Fragestellungen, denen sich die Teilnehmer/-innen bereits vorab auf einer eigens für flow kreierten Internetplattform zuordnen konnten.

Neben der Arbeit in thematischen Workshops wurde auch heuer wieder großer Wert auf die Einbindung der lokalen Künstler/-innen und Wissenschaftler/-innen gelegt. Für drei Abende wurde ein sehr spannendes und frei zugängliches Festivalprogramm mit einer Ausstellung, Performance und Konzerten entwickelt, das vor allem der bulgarischen alternativen Kunstszene eine Bühne gab. Hunderte Besucher aus ganz Bulgarien haben dieses Angebot mit großer Freude und Begeisterung angenommen.

Dem diesjährigen Festival-Thema entsprechend wurden aber nicht nur die Menschen erfolgreich „aktiviert“, sondern auch ungenützte, leer stehende Räume und Orte speziell für flow neu belebt. Dabei konnten etwa Orte mit interessanter Geschichte und Vergangenheit in Ruse wieder entdeckt und neu bespielt werden. So etwa das Gebäude einer der ältesten bulgarischen Banken, das seit Jahren leer steht und verfällt. Oder auch der einstige Hafenbahnhof im Zentrum von Ruse, der seit vielen Jahrzehnten keine Passagiere mehr empfangen hat, und für das Festival erstmals wieder mit Leben gefüllt wurde. Diese inspirierenden Räume und Orte werden so in Zukunft wieder mehr Beachtung und Verwendung finden. Nachhaltigkeit wird aber vor allem durch die Entwicklung mehrerer multinationaler und interdisziplinärer Mikro-Projekte erzeugt, die in verschiedenen Ländern des Donauraumes 2013 realisiert werden. Die flow Community, bestehend aus den rund sechzig Teilnehmer/-innen des Festivals, bekommt damit die Möglichkeit, die neuen Kontakte und entstandenen Ideen konkret für Projekte zu nutzen. So werden bis zu fünf Projekte im Donauraum über das Festival hinaus im kommenden Jahr vom BMeiA gefördert und vom IDM begleitet.

flow hat sich zum Ziel gesetzt Menschen zu bewegen und im Donauraum seine Spuren zu hinterlassen.
In Ruse ist man dieser Vision wieder ein beachtliches Stück näher gerückt – and flow goes on.

Institut für den Donauraum und Mitteleuropa
Dr. Susan Milford
Bernd Janning, MA

  • Projektzeitraumbis 2012
grenzüberschreitend. fachübergreifend. unkonventionell.flow stellt den multinationalen interdisziplinären Dialog von Kunst und Wissenschaft in den Mittelpunkt und hebt sich so ganz bewusst von herkömmlichen Festivals ab.