Gemeinsame Geschichte? Österreichische und serbische Mythen von 1914 bis 2014

IDM-Projekt, gefördert durch den Zukunftsfonds der Republik Österreich

Projektziel:

Im inzwischen abgeschlossenen IDM-Forschungsprojekt werden all jene handlungsleitenden Mythen erfasst und analysiert, die über hundert Jahre das Verhältnis zwischen Wien und Belgrad bestimmt haben. Einander gegenübergestellt sind hier insbesondere der Habsburgermythos und der Kosovomythos, die beide je nach politischem Interesse instrumentalisiert wurden. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Ermordung des austrophilen Königs Aleksandar Obrenović 1903, die ein zusehends konfrontatives Verhältnis beider Länder einleitete, und endet mit dem gegenwärtigen EU-Integrationsprozess Serbiens, für den sich Österreich explizit einsetzt. So wechseln sich zwischen 1903 und 2014 die Phasen von Kooperation und Konfrontation gegenseitig ab, was durch die hierfür instrumentalisierten Mythen verstärkt wird.

Das Verhältnis zwischen Österreich und Serbien ist nicht friktionsfrei. Darauf verweisen diverse Diskurse, die anlässlich des möglichen EU-Beitritts Serbiens hierzulande zu vernehmen sind. Viele dieser Diskurse fußen auf unbewiesenen Vorurteilen und Mythen, deren Ursprünge weit in die Vergangenheit zurückreichen. Auch in Serbien kursieren viele historische Mythen über Österreich, die der sozialen Wirklichkeit nicht entsprechen, jedoch gegenwärtige Wahrnehmungen beeinflussen. Im inzwischen abgeschlossenen Projekt geht es um eine aufklärerisch motivierte Aufarbeitung dieser von Propagandamythen verklärten hundert Jahre zwischen 1914 und 2014. Das biperspektivische Forschungsdesign sollte Erkenntnisse liefern, die ein differenziertes Geschichtsbild zu zeichnen erlauben und darüber hinaus auch eine zutiefst bedeutsame Funktion im Hinblick auf die europäische Integration, also auf die Einbindung der Balkanstaaten bzw. des „West-Balkans“ in die Europäische Union in der Zeit nach 2014 erfüllen. Das Projekt soll damit einen grundlegenden Beitrag zum gegenseitigen und ‚nachbarschaftlichen’ Verständnis im gegenwärtigen europäischen Integrationsprozess leisten. Ein differenziertes Geschichtsbild und gegenseitiges Verständnis sind nicht zuletzt im Kontext verstärkter politischer, wirtschaftlicher sowie kultureller Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedsländern und EU-Kandidatenländern wesentlich.

Mit dem Sarajevo-Attentat 1914 und der darauffolgenden Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien entwickeln sich der Habsburgermythos und Kosovomythos zu Hauptideologemen beider Staaten. Der Habsburgermythos soll mitsamt seinen Umdeutungen, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs seine politische Strahlkraft erhalten und im neutralen Österreich nur mehr im Kulturbereich fortwirken. Dagegen soll der mythologisierte gemeinsame Kampf gegen eine feindliche Fremdherrschaft (unausgesprochenes Merkmal des Kosovomythos) die Grundlage von Titos Partisanenbewegung und sozialistischem Jugoslawien bilden.

Angetrieben vom Wunsch nach Prosperität und Wohlstand und im Korsett des Kalten Krieges schwenken das neutrale Österreich und blockfreie Jugoslawien auf den Kurs der freundschaftlichen Nachbarschaft um. Diese Nachbarschaftspolitik, die österreichische Touristen an die jugoslawische Adria und jugoslawische Arbeitsmigranten („Gastarbeiter“) nach Österreich bringt, endet mit dem jugoslawischen Zerfallsprozess. Darin ist auch Österreich mit seiner Favorisierung und darauffolgenden Anerkennung von Slowenien und Kroatien (offiziell gemeinsam mit der EG 1992) verwickelt. Während der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren zählen Österreich wie der Westen bzw. die so genannte internationale Gemeinschaft zu den erklärten Feinden des serbischen (jugoslawischen) Milošević-Regimes, das sich den Kosovomythos längst zunutze gemacht hat. Umgekehrt schließt sich Österreich in seiner ablehnenden Haltung gegenüber Serbien den tonangebenden internationalen Mächten an.

Das konfrontative Verhältnis zwischen dem offiziellen Wien und Belgrad endet schließlich mit dem Sturz des Milošević-Regimes 2000 und der damit verbundenen Absage an den herkömmlichen Kosovomythos auf serbischer Seite. Im Kontext des nach wie vor laufenden EU-Integrationsprozesses Serbiens gestaltet sich dieses bilaterale Verhältnis betont freundschaftlich, verbunden mit wirtschaftlichen Kooperationen. Die geplante Buchpublikation soll anhand dieser Untersuchung zweier gesamtgesellschaftlich zutiefst verwobener Staaten einen Beitrag zum Verständnis europäischer Geschichte und aktueller politischer Prozesse leisten.

Projektpräsentationen:

Präsentiert wurden die Projektergebnisse bei den folgenden Veranstaltungen:

Im Rahmen des 9. Werkstattgesprächs des Zukunftsfonds der Republik Österreich am 15. Oktober 2013 an der Diplomatischen Akademie,

im Zuge des IDM-Lehrer/innen-Fortbildungsseminars zu „100 Jahre Erster Weltkrieg – von der ‚Urkatastrophe’ zum Friedensprojekt Europa“ am 27. Februar 2014 am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien,

im Rahmen der 11th DRC Summer School zu „1914-2014: 100 Years after the World War I – Chances and Challenges for the Danube Region“ am 10. Juli 2014 an der Universität Novi Sad,

im Zuge der Konferenz zu „Kriegserinnerungen zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsgestaltung“ am 10. September 2014 an der Andrássy Universiät Budapest

und im Rahmen der IDM-Konferenz „Der Große Krieg und seine Mythen im Donauraum von 1914 bis 2014“ am 22. September 2014 im Presseclub Concordia.

Der Konferenzband als Ausgabe der wissenschaftlichen Quartalszeitschrift des IDM befindet sich derzeit in Produktion.

  • ProjektzeitraumSeptember 2012 – August 2014
  • ProjektleitungDr. Erhard Busek
  • Projektkoordination: Mag. Dr. Wolfgang Pensold
  • Projektmitarbeiterinnen: Mag. Dr. Silvia Nadjivan | MMag. Eva Tamara Asboth (ehemals Titz)
  • Projektmonitoring: Prof. Dr. Milan Ristović | Mag. Dr. Irena Ristić

Schön, wahr, streitbar?

Was heißt es für eine Gesellschaft, wenn alles an ihr nur mehr relativ erscheint? Wenn Trennlinien verschwimmen und Etabliertes in Frage steht? Der Politologe MICHAEL WIMMER kennt die österreichische Kulturlandschaft und schreibt über die Chancen und Gefahren in Zeiten des Umbruchs.

Als Heranwachsender in den 1950er und 1960er Jahren schien die Welt noch in Ordnung. Die zentralen Instanzen Familie, die Großparteien und der Staat samt seiner Vermittlungsagentur Schule, darüber hinaus die katholische Kirche und der Kulturbetrieb, gaben klare Weltbilder vor und verpflichteten zu verbindlichen Verhaltensregeln. Ich konnte damit nicht einverstanden sein und versuchte, dagegen aufzubegehren. Und doch lag über der gesamten Gesellschaft eine rigide Eindeutigkeit von richtig und falsch, gut und böse sowie schön und hässlich, der sich kaum jemand zu entziehen vermochte. Der Staat verfügte über die »richtige« Kultur, die durch Kultureinrichtungen repräsentiert wurde. AbweichlerInnen wurden mit Gesetzen sanktioniert, die dafür sorgen sollten, eine für alle verbindliche österreichische Kultur in der Bevölkerung durchzusetzen. Zu ihrer Verbreitung gab sich der Staat einen Erziehungsauftrag, der die »Kulturlosen« mit der staatlich verordneten Kultur vertraut machen sollte. Nicht zuletzt, um damit die Bemühungen zur nationalen Identitätsbildung zu unterstützen. Diese »Leitkultur« wurde erstmals in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre hinterfragt. Damals traten vor allem junge Menschen zunehmend öffentlichkeitswirksam auf den Plan, um sich dem staatlich verordneten Sog des einzig Richtigen, Wahren und Schönen entgegenzusetzen. Aus dem Geist der ausgegrenzten Subkulturen der 1960er Jahre erwuchsen nach und nach Alternativbewegungen, die Anspruch auf eine eigene Interpretation der Welt gegen jene des Establishments erhoben. So bildeten neue Kulturinitiativen den Nukleus der Infragestellung einer rückwärtsgewandten Kulturpolitik, die sich weigerte, von ihrem paternalistischen Selbstverständnis abzurücken und alles tat, um kultureller Selbstermächtigung entgegenzuwirken.

Monopole am Ende

Damit einher ging seit den 1980ern ein Diskurs, der die Künste als gemeinschaftsstiftender Faktor in Frage stellte. Beschrieb der italienische Philosoph und Schriftsteller Umberto Eco noch eine Tendenz in Richtung »offenes Kunstwerk«, so sprach der US-Amerikaner Arthur C. Danto gleich vom »Ende der Kunst«. Beide folgten der Entwicklung der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, die in ihrem Kampf gegen die Hermetik des Kulturbetriebs die Auflösung des etablierten Kunstbegriffs immer weitertrieb. Am Ende landeten sie bei der Aussage, dass im Prinzip alles Kunst sein kann. Damit wurde eine gesicherte Trennlinie zwischen Kunst und NichtKunst eliminiert, was bei Nichteingeweihten für Ratlosigkeit sorgte. Ähnliches trifft auf den Wissenschaftsbetrieb zu. Eine der Ursachen für seine tendenzielle Entwertung liegt darin, dass – wie in den Künsten – schon lange vor der Pandemie ein Relativierungsprozess einsetzte. Wissenschaft verlor das aufklärerische Interpretationsmonopol der Welt. Verblüfft stellen wir aktuell fest, dass selbst Hochgebildete rationale Erkenntnis auf die gleiche Stufe der Weltwahrnehmung stellen wie irrationalen Glauben. Das macht deutlich, dass das Pendel der Rationalität immer mehr zur Emotionalität ausschlägt. Auch die Medien unterliegen einem Transformationsprozess. Sie verloren ihre Stellung als VermittlerInnen einer konsistenten, auf soliden Recherchen basierenden Weltsicht. Als sensationsgeile AkteurInnen am hart umkämpften Medienmarkt büßten sie viel an Glaubwürdigkeit ein. Die Repräsentation von Öffentlichkeit traten sie an die – jedenfalls vordergründig – stärker auf Mitwirkung und Interaktion angelegten Sozialen Medien ab. In ihnen geben nicht mehr Fachleute die Inhalte vor. Alle können mitreden, Informationen weitergeben, Meinungen kundtun und zu Aktivismus aufrufen. Soziale Medien sind vielleicht die überzeugendste Ausdrucksform dafür, dass der Staat und seine Agenturen das Monopol der Weltinterpretation verloren haben. An ihre Stelle treten die BürgerInnen selbst, die Wahrheit, Schönheit und Richtigkeit kreieren bzw. sich in temporären Allianzen denen anschließen, die mit ihnen auf einer Wellenlänge zu sein scheinen.

Kultur auf neuen Bahnen

In all diesen Auflösungserscheinungen samt ihren zum Teil gefährlichen, zum Teil hilflosen Gegenreaktionen, platzt aktuell die nunmehr bereits zwei Jahre währende Pandemie als die wahrscheinlich größte gesellschaftliche Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg. Spätestens die Auswirkungen der Pandemie haben gezeigt, dass nicht nur in Österreich eine tiefsitzende Verunsicherung entsteht. Diese speist sich einerseits aus der wachsenden und irgendwann nicht mehr aushaltbaren Komplexität der Lebenswelten und andererseits aus dem gebrochenen Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Leistung und dem damit verbundenen Zusammenbruch des solidarischen Zusammenhalts. Der deutsche Soziologe Armin Nassehi spricht von einer »überforderten Gesellschaft«. Ein massenhaftes Aufbegehren gegen die herrschenden Verhältnisse, aus den verschiedensten Ecken, scheint nur zu logisch. Die frustrierten SkeptikerInnen, bei denen sich ein langjähriger Hass gegen Politik, Wissenschaft, Medizin, Medien, gegen Bildungseinrichtungen und auch gegen die Arroganz des Kulturbetriebs aufgestaut hat, finden endlich ein Ventil und schließen sich zu einer, wenn auch unheiligen, Allianz zusammen. Auch wenn die Bekämpfung der Pandemie im Moment alles andere überstrahlt, so lässt sich das wachsende Heer derer, die mittlerweile fast täglich gegen die Maßnahmen der Regierung demonstrieren, in zwei Richtungen lesen. Einerseits als Rückfall in kollektiven Irrationalismus und andererseits als gesellschaftlicher Emanzipationsprozess, der sich auf die Suche nach machbaren Zukunftsszenarien macht. Geht es nach den Erwartungen vieler junger Menschen, dann stehen wir heute vor der Aufgabe, Politik neu zu denken. Das Erproben von Mitbestimmungsmodellen wie BürgerInnenbeteiligung, neue Governance-Strukturen oder BürgerInnenräten steht für diesen durchaus optimistisch machenden Trend. Voraussetzung dafür ist die Wiederherstellung von Öffentlichkeit bzw. von öffentlichen Räumen, in denen Menschen ganz unterschiedlicher Hintergründe aufeinandertreffen, sich austauschen, verhandeln und Kompromisse schließen. Dem Kulturbetrieb könnte dabei eine wichtige Aufgabe zukommen. In Zeiten der Pandemie sehen wir vor allem die Zentrifugalkräfte am Werk. Die mindestens ebenso wirksamen Zentripetalkräfte werden unterschätzt. Und doch sind sie es, die bei der Deutungshoheit für ein besseres Morgen entscheidend sein werden. Eine solche, so lernen wir aus der Geschichte des Emanzipationsprozesses der letzten 50 Jahre, will nicht mehr als sakrosankt vorgegeben werden. In einer streitbaren Zivilgesellschaft muss diese von uns allen täglich neu erkämpft werden.

 

Dr. Michael Wimmer ist Gründer und Direktor von EDUCULT, Vorstand des Österreichischen Kulturservice (ÖKS), Musikerzieher und Politikwissenschaftler. Er doziert an der Universität für angewandte Kunst Wien und arbeitet als Lehrbeauftragter am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der Universität für darstellende Kunst Wien sowie am Institut für Lehrer*innenBildung der Universität Wien. Seine Expertise umfasst die Zusammenarbeit von Kunst, Kultur und Bildung. Er war in der Expertenkommission zur Einführung der Neuen Mittelschule und berät den Europarat, die UNESCO und die Europäische Kommission in kultur- und bildungspolitischen Fragen.

Route neu berechnen

Was tun, wenn eine Wanderausstellung vor geschlossenen Grenzen steht? Mit den Absagen von physischen Events wuchs das Projekt Kunst am Strom über sich und die Grenzen der analogen Welt hinaus. Ein Bericht von MÁRTON MÉHES.

Alles hat so gut angefangen: »Das internationale Kunstprojekt ‚Kunst am Strom‘ führt Kunstpositionen, KünstlerInnen und KuratorInnen aus dem Donauraum zusammen (…). Ziel des Projekts ist der Dialog von verschiedenen Kunstpositionen aus den Donauländern, die in einer Wanderausstellung (…) in acht Städten der Region gezeigt werden. Darüber hinaus werden sich KünstlerInnen und KuratorInnen aus Deutschland, Österreich, der Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien und Bulgarien im Rahmen von Symposien begegnen, sich austauschen und Netzwerke bilden.« Soweit ein Zitat aus der Projektbeschreibung, verfasst Mitte 2019. Im Nachhinein merkt man dem Text ein gewisses Selbstbewusstsein an: Wir planen etwas und setzen es dann um – was soll da schon schiefgehen? Nur wenige Monate später, im Mai 2020, schlugen wir im Einführungstext zu unserem Ausstellungskatalog bereits ganz neue Töne an: »Angesichts der aktuellen Klimakrise und der Fragen der post-epidemischen ‚Weltordnung‘ ist der Donauraum mit der Herausforderung konfrontiert, Vergangenheitsbewältigung und die Entwicklung von Zukunftskonzepten gleichzeitig voranzutreiben. Die historischen Erfahrungen aus dieser Region könnten dabei auch hilfreich werden. Wir müssen jetzt auf Innovation und Kreativität setzen.« Unser Selbstbewusstsein ist verpufft. An seine Stelle sind offene Fragen, Herausforderungen und eine ungewisse Zukunft getreten. Die Wanderausstellung Kunst am Strom, die auf viele Treffen, Grenzüberschreitungen, Eröffnungsevents und den persönlichen Austausch setzte, war in der Pandemie-Realität angekommen.

Unerwartete Blickwinkel

Von nun an kamen sich ProjektleiterInnen, KuratorInnen und KünstlerInnen wie ein Navigationsgerät vor, das die Route ständig neu berechnen muss, und dennoch nie ans Ziel kommt. Von den ursprünglich geplanten drei Ausstellungen konnten 2020 zwar immerhin noch zwei (im Museum Ulm und auf der Schallaburg) veranstaltet werden, allerdings mit erheblichen Einschränkungen. In Ulm fand sie ohne den großangelegten Kontext des Internationalen Donaufests statt, und auf der Schallaburg musste sie wegen des erneuten Lockdowns Wochen früher schließen. Ursprünglich hätte die Schau 2021 an weiteren fünf Stationen Halt gemacht – möglich war lediglich eine Veranstaltung in Košice im Herbst 2021, unter Einhaltung strengster Hygiene- und Sicherheitsregeln. Mitte des Jahres 2021 war allen Beteiligten klar, dass das Projekt verlängert werden muss, was dann von den FördergeberInnen auch genehmigt wurde. Spätestens im Sommer hätten sich also alle zurücklehnen können, nach dem Motto »Wir sehen uns nach der Krise…« Doch bald stellte sich heraus, dass der Satz aus dem Katalog von allen Beteiligten ernst gemeint war: Wir müssen jetzt auf Innovation und Kreativität setzen. Im April 2021 fand ein Online-Symposium mit den KuratorInnen statt, um gemeinsam auf innovative, aber rasch und unkompliziert umsetzbare Austauschformen im virtuellen Raum zu setzen. Das Meeting funktionierte gleichzeitig als Ventil: KuratorInnen schilderten die Lage in ihren Städten und die teils dramatische Situation der jeweiligen Kunstszene. Im Mai folgte dann Studio Talks. Die KünstlerInnen wurden im Vorfeld gebeten, ihre Arbeit, ihre Ateliers, ihre Stadt und ihr Lebensumfeld in kurzen Video-Selbstportraits festzuhalten. Diese Videos wurden dann im Laufe der Veranstaltung gezeigt und von den teilnehmenden KünstlerInnen live kommentiert. Aus diesen Videos ist ein einzigartiges Panorama künstlerischen Schaffens im Donauraum entstanden.

Unzertrennliche Welten

Durch die gewonnene Zeit hat die Projektleitung einen Audio-Guide zur Ausstellung produzieren lassen. Auch die Facebook-Seite wurde zu einer wichtigen Präsentationsplattform weiterentwickelt. Die teilnehmenden KünstlerInnen stellten sich mit einem kurzen Werdegang sowie dem Link zu ihren Studio Talks-Videos vor. Ohne diese verstärkte Online-Kommunikation hätte das Projekt nie ein so breites Publikum erreicht. Die Studio Talks und Online-Kampagnen haben unsere physische Ausstellung nicht ersetzt. KünstlerInnen und Publikum freuen sich mehr denn je auf die Veranstaltungen vor Ort. Kunst am Strom ist durch die Pandemie vielschichtiger, informativer und spannender geworden. Eine Entscheidung zwischen »nur analog« oder »nur digital« kann es nicht mehr geben: Beide Welten sind endgültig unzertrennlich geworden und ergeben nur noch gemeinsam ein ganzes Bild.

Für das von Dr. Swantje Volkmann (DZM Ulm) und Dr. Márton Méhes geleitete Projekt Kunst am Strom wählten die KuratorInnen KünstlerInnen aus Ländern und Städten entlang der Donau aus, die zwei Generationen repräsentieren. Das Projekt wird vom Museum Ulm getragen und von mehreren Kooperationspartnern mitfinanziert.

Termine 2022:
27. April–11. Mai: Zagreb
11.–24. Juni: Timișoara
8.–21. August: Novi Sad
12. Oktober–2. November: Sofia

 

Dr. Márton Méhes (*1974) ist promovierter Germanist, ehem. Direktor des Collegium Hungaricum Wien und arbeitet heute als Lehrbeauftragter der Andrássy Universität Budapest sowie als internationaler Kulturmanager in Wien. Seine Schwerpunkte sind Kulturdiplomatie, europäische Kulturhauptstädte und Kooperationsprojekte im Donauraum.

Botschaftervortrag: „Zwischen Frieden und Krieg“ Rumänien und Österreich um 1900

Zwischen Frieden und Krieg“. Rumänien und Österreich um 1900.Szenen einer wohlwollenden Gleichgültigkeit.

Vortrag des Botschafters von Rumänien S.E. Botschafter Emil Hurezeanu am 13.01.2022

In Kooperation mit der Diplomatischen Akademie und der Botschaft Rumäniens in Wien.

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Begrüßung

Gesandte Dr. Susanne KEPPLER-SCHLESINGER Stellvertretende Direktorin der Diplomatischen Akademie Wien

Vizekanzler a.D. Dr. Erhard BUSEK Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa

Mihai Răzvan UNGUREANU Ehemaliger Ministerpräsident von Rumänien Projektmitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Moderation

Erhard BUSEK Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa

Konflikt liegt in der Luft

»Die Abhängigkeit ist ein Problem,« sagt der Ornithologe Matthias SCHMIDT, und spricht sich für eine unabhängige und faktenbasierte ökologische Erhebung bei Windparkanlagen aus. Wird bald im Namen des heißbegehrten »grünen Stroms« der Artenschutz vernachlässigt, fragt ihn Daniela APAYDIN im IDM-Interview.

Ihre Trommeln sind nicht zu überhören. Der kühle Herbstwind lässt ihren lebhaften Rhythmus durch die Menge ziehen. Eine bunte, gutgelaunte Menschenmasse bewegt sich durch die Praterstraße, mit Musik, Megafonen und Transparenten. »Alle für das Klima«, steht darauf, aber auch »Make love, not CO2 «. Das Ziel der Menge ist das Wiener Stadtzentrum, vor ihrem eigentlichen Ziel, dem geforderten sozialen Wandel, liegen jedoch noch viele Hürden. Eltern mit Kleinkindern, SchülerInnen und Studierende, WissenschaftlerInnen, Tier – und UmweltschützerInnen, überzeugte VeganerInnen, Gewerkschaften, sogar kirchliche Einrichtungen marschieren beim Klimastreik 2021 Seite an Seite im Rhythmus der Trommeln. Ihre Dringlichkeit verbindet sie, doch in der Umsetzung und Radikalität ihrer Forderungen liegen Konflikte begraben. Jede Transformation produziert ihre Verlierer. Wie werden die Menschen links und rechts neben mir reagieren, wenn unter dem Zeichen des Ausbaus »grüner Energie« Menschen ihre Jobs verlieren, wenn Tiere zu Schaden kommen, das neue Wasserkraftwerk den Naturraum zerstört oder der Windpark die Zugvögel bedroht? Über das Spannungsfeld von Zielkonflikten habe ich kurz vor der Demo mit dem Ornithologen Matthias Schmidt gesprochen. Bei der NGO Birdlife Österreich setzt er sich besonders für den Schutz von Groß- und Greifvögeln ein. Von ihm erhalte ich später Bilder von Tieren, die von Rotorblättern getötet wurden.

Herr Schmidt, heute ist weltweiter Klimastreik-Tag. Gehen Sie auch zur Demo?

Meine Familie ist dort, ich selbst leider nicht. Birdlife ist auch offizieller Unterstützer des Klimastreiks. Ich finde gut, dass wir da ein Zeichen setzen. Die Lebensräume der Vögel sind durch den Klimawandel bedroht. Wir finden aber auch, dass es beim Klimaschutz Sensibilität braucht.

Wir sprechen von Zielkonflikten, wenn Maßnahmen zum Schutz des Klimas negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben. Welche konkreten Bedrohungen birgt die Windenergie für Vögel?

Windkraftenergie kann nur ein Teil der Lösung sein. Sie darf nicht uneingeschränkt ausgebaut werden. Bei Windkraftanlagen (WKA) gibt es drei Problemfelder: Kollisionen durch die Rotoren, die Degradierung von Lebensraum sowie die Scheuchwirkung. Dabei gibt es regional viele Unterschiede und auch nicht jeder tote Vogel hat gravierende Auswirkungen auf die Artenvielfalt.

Welche Vogelarten sind in Österreich besonders von Windparks bedroht?

Für Kleinvögel im Flachland ist es weniger gravierend. Doch fast 20 Prozent der tot aufgefunden Kaiser- und Seeadler lassen sich auf WKA zurückführen. Man muss aber auch dazu sagen, dass WKA nicht die Hauptbedrohung für Vögel darstellen. Das Insektensterben, etwa durch Pestizide in der Landwirtschaft, der generelle Landverlust durch die Bodenversiegelung, die Folgen des Klimawandels… die Liste an Bedrohungen ist lang. Die am häufigsten von Menschen verursachten Todesarten bei Greifvögeln sind zum Beispiel immer noch Abschuss und Vergiftung.

Die Österreichische Bundesregierung plant bis 2030 die Windenergieproduktion von 6,3 auf 15,3 Prozent zu erhöhen. Prozentual ist eine größere Steigerung nur bei PhotovoltaikAnlagen geplant. Kann das aus Sicht eines Artenschützers überhaupt funktionieren?

Es wird sich zeigen, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Wenn wir Ostösterreich betrachten, dann wird diese Region bereits intensiv für die Windenenergie genutzt. Dort wird nicht mehr viel möglich sein, ohne massive Auswirkungen auf den Artenschutz in Kauf zu nehmen. Die große Frage wird sein, wie es im Alpenraum weitergeht. Wir setzen uns für eine großräumige und faktenbasierte Planung ein. Leider haben wir oft erlebt, dass Betreiber unzureichende Erhebungen zum Artenschutz in Auftrag geben, die dann zu willkürlichen Ergebnissen führen. Das macht die Datenlage schwer nachvollziehbar und vergleichbar. Wir versuchen mit fachlich fundierten Leitfäden dazu beizutragen, dass sich Standards durchsetzen.

Die Energiewirtschaft fordert verkürzte Prüfungsverfahren zur Bewilligung von WKA. Außenstehenden erscheinen diese Verfahren tatsächlich sehr bürokratisch und langwierig. Können Sie sich eine Verkürzung vorstellen, bei der der Artenschutz nicht zu kurz kommt?

Eine seriöse Erhebung dauert meisten zwischen 1,5 und 2 Jahren. Die Natur lässt sich eben nicht an einem Tag erheben. Wenn ich zum Beispiel wissen will, ob in einem Gebiet der Kaiseradler brütet, kann ich die Erhebung nicht im Winter machen. Das wäre unseriös. Die Verzögerungen in Verfahren kommen aber meistens durch unzureichende oder fehlende Unterlagen in den Umweltverträglichkeitsprüfungen zustande, die dann zu Recht beeinsprucht werden. Eine Versachlichung in Form von seriösen Erhebungsstandards würde nicht nur eine bessere Bewertung zulassen, sondern aus meiner Sicht auch zu einer Beschleunigung der Verfahren führen. Grundsätzlich haben wir bei Genehmigungsverfahren Parteienstellung und erheben auch Einsprüche. Das machen wir aber nicht bei jedem Windpark, sondern nur, wenn es Konfliktpotential gibt oder wenn Methoden benutzt wurden, die keine belastbaren Aussagen zulassen.

Mir erscheint dieser Ablauf etwas fragwürdig: Firmen beauftragen vor dem Bau ihres Windparks ein Gutachten bei Technischen Büros und bezahlen diese direkt dafür?

Die Abhängigkeit der Büros von den Betreibern sehe ich als ein wesentliches Problem. Wir sollten hinterfragen, ob Firmen tatsächlich das Büro aussuchen und direkt beauftragen dürfen sollten. Kommt eine Studie zu negativen Ergebnissen, riskiert das Büro natürlich, dass es bei der nächsten Prüfung nicht mehr den Auftrag erhält. Die Behörde bzw. ein Sachverständiger muss das Gutachten dann zwar noch abnehmen und kontrollieren, eine detaillierte Prüfung ist da aber oft schwierig. Zurzeit gibt es aber keine klaren Vorgaben, wie die technischen Büros ihre Erhebung durchzuführen haben. Es hat sich gezeigt, dass viele – nicht zuletzt aus Kostengründen – mangelhafte Methoden verwenden. Wir brauchen daher Methodenstandards. Das würde auch die Verfahren vereinfachen und den Betreibern Planungssicherheit geben.

Als Laie verstehe ich angesichts dieser Mängel etwas besser, wie es zu Eskalationen rund um geplante Autobahnen und Nachdenkpausen bei Kraftwerksplänen kommen kann. Wie viele solcher Konflikte liegen in den kommenden Jahren wohl noch in der Luft? Und wie sieht es stromabwärts mit dem Windkraftausbau aus? Der Green Deal der Europäischen Kommission sollte doch auch die IngenieurInnen in Ungarn, Rumänien oder Bulgarien motivieren, oder nicht? Matthias Schmidt sieht in der Windkraft jedenfalls ein »lukratives Business«, das auch Betreiber aus Westeuropa und Österreich nach (Süd-) Osteuropa lockt. »Aktuell ist die Windkraftnutzung aber vor allem in Ostösterreich und Westungarn ein Thema. Auch im bulgarischen Osten, an der Schwarzmeerküste gibt es Windkraftanlagen, ebenso wie Konflikte zwischen dem Vogelschutz und WKA-Betreibern«, so Schmidt, der sich selbst aber eher mit Österreich beschäftigt. Ich konfrontiere ihn noch mit einem Argument, das man im Kontext von Windpark-Debatten oft hört – sicherlich keine Lieblingsfrage für Vogelfans:

Herr Schmidt, was antworten Sie jemanden, der nicht versteht, dass ein Windpark wegen eines toten Vogels nicht gebaut werden darf, und damit der Energiebedarf durch Atomoder Kohlekraftwerke ausgeglichen werden muss? Ist das im Interesse des Klimaschutzes?

Das darf nicht unser Zugang bei dieser Frage sein. Wir brauchen ein Umdenken. Artenschutz ist zwar aufwändig, aber auch sehr wertvoll für uns. Vielfältigkeit ist ein Wert, der aus vielen Individuen besteht. Je mehr Individuen verschwinden, desto fragiler werden unsere Ökosysteme, desto näher kommen wir dem Kollaps. In der Summe liegt der Unterschied. Klimaschutz kann und darf nicht uneingeschränkt auf Kosten von Arten umgesetzt werden.

Nun will aber auch keiner einen Windpark direkt neben der Vorstadtsiedlung. Was also tun?

Das ist immer eine Abwägungssache. Die Planung der Windkraft unterliegt natürlich Zwängen – Abstände zu Siedlungen, Infrastruktur, Windverfügbarkeit etc. Oft überschneiden sich die daraus resultierenden Planungsgebiete mit wertvollen Naturräumen. Der Artenschutz droht hier immer öfters buchstäblich unter die Räder zu kommen. Umso wichtiger ist überregionale Zonierung. Es bringt nichts, wenn jede Gemeinde für sich versucht einen Windpark zu bauen, sondern die Politik ist gefragt, Zonen zu definieren und durchzusetzen, die den Zielen des Artenschutzes und des Energiesektors gerecht werden. In einigen Bundesländern – etwa in Niederösterreich – gibt es diese bereits. Bei deren Erstellung waren wir auch fachlich eingebunden. Dadurch werden zwar nicht alle Konflikte gelöst, aber eine faktenbasierte Zonierung reduziert allemal das Konfliktpotential. Eine weitere Möglichkeit ist auch das sogenannte »Repowering«, also die Effizienzsteigerung von bestehenden Windparks. So kann man vermeiden, dass neue Flächen verloren gehen. Unser Ziel ist es nicht, dagegen zu sein, sondern Konflikte zu minimieren.

Matthias Schmidt wirkt optimistisch. Der Ornithologe sieht sich nicht als Aktivist, sondern als »Bindeglied zwischen Forschung und Naturschutz.« Der 41-Jährige ist überzeugt, dass Fakten und methodische Standards dabei helfen, Zielkonflikte zu lösen. Schmidt hat Biologie in Wien studiert und ist eher zufällig im Urlaub auf die Faszination für Vögel gestoßen. »Ich bin spät, aber dafür schnell in die Vogelwelt gekippt«, erzählt der Wahl-Niederösterreicher. Hierzulande hätten Fans wie er »noch immer einen Exotenstatus«. Dabei ist die Vogelwelt spannend und spektakulär zugleich. Das zeigt sich etwa am Phänomen des Vogelzugs. Dank Telemetrie können aktuell Rohrweihen auf ihren Flugwegen von Österreich nach Westafrika mitverfolgt werden (Infobox). Die Leistungen von Zugvögeln begeistern Schmidt bis heute: »36 Stunden nonstop über’s Mittelmeer. Das ist faszinierend!«

Während ich mich kurz darauf von dem Protestzug durch die Straßen treiben lasse, fallen mir die Plakate einer bekannten Tierschutzorganisation ins Auge. »Tierschutz = Klimaschutz« ist darauf zu lesen. Für Menschen wie Matthias Schmidt ist der Zielkonflikt Klimaschutz vs. Naturschutz auf sachlicher Ebene lösbar. Wie viel Zeit wird uns für diese Aushandlungsprozesse bleiben, frage ich mich. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden, das ist klar. Mit dem gleichen Ziel vor Augen und einem geteilten Verständnis für die Wichtigkeit von Biodiversität und dem Schutz von Ökosystemen wird es hoffentlich funktionieren. Der Druck von der Straße kann dabei nicht schaden, das meint auch der Ornithologe. Jeder trommelt eben anders, aber alle trommeln für’s Klima.

 

Matthias Schmidt wurde in Deutschland geboren und wuchs in Salzburg auf. Nach seinem Studium der Biologie in Wien ist er seit 2006 im Vogelschutz aktiv. Seit 2010 ist Schmidt als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BirdLife Österreich tätig.

 

Todesursache: Mensch

Die Donau-Auen zählen zu den wichtigsten Brutgebieten der Seeadler, Kaiseradler und Rotmilane. Illegale Vergiftungen und Abschüsse gehören zu den häufigsten Todesursachen von Greifvögeln. Auch Windparks bergen Risikos. Der Ornithologe RAINER RAAB zeigt Lösungsansätze auf.

Die Rückkehr des Seeadlers nach Mitteleuropa und nach Österreich, wo er auch die Donau als Brutgebiet nutzt, ist eine Erfolgsgeschichte des Artenschutzes. Doch gerade durch illegale Handlungen des Menschen ist der Bestand immer wieder regional gefährdet. Die Vergiftung bzw. das Auslegen von Giftködern zählt zu den Haupttodesursachen von Greifvögeln in Europa. So sterben beispielsweise beim Rotmilan nach neuesten Daten des LIFE EUROKITE Projektes europaweit mehr als 25 Prozent der Individuen durch illegale Verfolgung (Stand: 30.09.2021; bei Auswertung von mehr als 500 besenderten Rotmilanen, die bereits verstorben sind). Betrachtet man nur jene Rotmilane, die erfolgreich das Nest verlassen haben, betrifft die Wildtierkriminalität in manchen Regionen sogar deutlich mehr als die Hälfte der besenderten Vögel.

Weitreichende Schäden durch Köder

Wegen der schwerwiegenden Auswirkungen auf die Populationen, gilt die Vergiftung laut BirdLife International als eines der größten Probleme von Greifvögeln. Man unterscheidet zwischen direkter Vergiftung (Giftköder), indirekter Vergiftung und sekundärer Vergiftung. Der vorbereitete Köder wird an einer Stelle ausgelegt, die für die Zielarten und häufig für andere Nichtzielarten zugänglich ist. Das Auslegen von Giftködern ist daher eine großflächige, nicht selektive und zerstörerische Kontrollmethode, die ebenso einen enormen Einfluss auf Nichtzielarten hat. Es kann sogar ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen. Illegales Vergiften kann legale alltägliche Substanzen umfassen, die jedoch auf illegale Weise verwendet werden, sowie illegale Substanzen (z.B. Carbofuran oder Aldicarb). Die häufigsten Substanzen, die in Giftködern verwendet werden, sind Insektizide und in geringerem Maße Rodentizide, üblicherweise solche, die von Anwendern als hochgiftig bezeichnet werden. In Ungarn wurde Carbofuran laut MME (BirdLife Ungarn) in 85 Prozent der 476 Vögel nachgewiesen, die zwischen 2000 und 2015 durch Köder vergiftet wurden, um Raubtiere illegal zu bekämpfen. Viele der von BirdLife International entwickelten und von der EU finanzierten Artenaktionspläne (etwa 50 Vogelarten) erkennen Vergiftungen als Bedrohung an und empfehlen in den meisten Plänen für Greifvögel (z.B. Rotmilan, Kaiseradler und Geier) gezielte Maßnahmen dagegen.

Im Einklang mit Windparks

Da der Klimawandel die Lebensbedingungen für die Arten verändert, ist ein effizienter Klimaschutz Voraussetzung für eine langfristige Erhaltung gefährdeter Arten. Das Technische Büro Raab unterstützt daher den Ausbau erneuerbarer Energie im Einklang mit der Erhaltung wertvoller Lebensräume und Arten. Um diese Ziele zu erreichen, bauen wir auf eine Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft, Jagd und Naturschutz sowie Energieversorgern auf. Die mittlerweile millionenfach vorliegenden Telemetriedaten von besenderten Vögeln sollten bei künftigen Windparkund Photovoltaikprojekten bei der Standortwahl unbedingt mitberücksichtigt werden. Durch die Verwendung bereits vorliegender Telemetriedaten und die Modellierung der Lebensräume der relevanten Arten aus diesen Daten, kann eine Verkürzung der Genehmigungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) für den Ausbau erneuerbarer Energie gelingen. Dadurch kann die Artenvielfalt entlang der Donau und der Ausbau von Windkraft sowie Photovoltaik im Umfeld der Aulandschaften miteinander im Einklang stehen.

Im Einsatz für die Rotmilane

Im Dezember 2019 wurde das Projekt »Cross-border protection of the Red Kite in Europe by reducing human-caused mortality« gestartet. Es handelt sich dabei um ein Projekt des LIFE-Programms, eines Investitionsprogramms der Europäischen Union für Klima-, Natur- und Umweltschutz. Genau wie die Donau durch zahlreiche Länder Europas fließt, steht auch im Projekt LIFE EUROKITE die internationale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Vordergrund. Die Kernidee des Projekts, das seit Februar 2020 durch unser Büro umgesetzt wird, besteht darin, mithilfe von Telemetriedaten die Lebensraumnutzung der Zielarten (Rotmilan, Kaiseradler, Seeadler & Schwarzmilan) zu ermitteln. Dies ermöglicht eine Quantifizierung der Hauptgründe für die Sterblichkeit von Greifvogelarten in der EU. Ziel ist es, die wichtigsten vom Menschen verursachten Todesursachen zu vermeiden. Dazu gehören Schutzmaßnahmen gegen illegale Verfolgung (insbesondere durch Vergiftung), Kollisionen mit Straßen- und Schienenverkehr, Windparks und Stromleitungen sowie gegen Stromschlag an Mittelspannungsleitungen.

Schutz durch Tracking

Von der Mitteleuropäischen Gesellschaft zur Erhaltung der Greifvögel (MEGEG) wurden bzw. werden bis 2024 zusammen mit derzeit 18 Partnern, 14 Kofinanzierern und mehr als 20 Kooperationspartnern in ganz Europa mehr als 2.000 Rotmilane und zahlreiche andere Greifvögel (Seeadler, Kaiseradler & Schwarzmilan) in ca. 40 Projektgebieten in 12 Ländern mit GPS-Trackern ausgestattet, wodurch ihre Aktivitäten dauerhaft nachvollzogen werden können. Im Todesfall wird der Vogel von Teammitgliedern der lokalen bzw. regionalen Partner gesucht und die Todesursache wird nach Befolgung eines Mortalitätsprotokolls und wenn möglich, durch eine pathologische Untersuchung ermittelt. Während der Projektlaufzeit werden verstorbene, besenderte Rotmilane in bis zu 26 Ländern protokolliert. Auf diese Weise erhält man ein genaues Verständnis über die verschiedenen Todesursachen bei Rotmilanen und anderen Greifvögeln in ihrem jeweiligen Verbreitungsgebiet. Ein großer Vorteil dieser Methode besteht darin, dass die GPS-Verfolgung von Vögeln und die Post-Mortem-Analyse »in Echtzeit« funktionieren und sofortiges Handeln ermöglichen. Innerhalb des LIFE EUROKITE Projektes kann damit eine repräsentative Stichprobe aller Todesursachen in einem großen geografischen Gebiet unabhängig und digital transparent ermittelt werden. Das Ergebnis ist eine bessere Übersicht von gehäuften Todesfällen, wodurch innerhalb des Projektes LIFE EUROKITE Schutzmaßnahmen zielgerichtet umgesetzt werden.

 

Mag. Dr. Rainer Raab studierte Zoologie und Ökologie an der Universität Wien. Seit 1991 zahlreiche libellen- und vogelkundliche Arbeiten für diverse Auftraggeber – seit Februar 2001 als Technisches Büro für Biologie. Seit 2005 Umsetzung von mehreren grenzüberschreitenden LIFE-Projekten.