Opinion Piece (CoFoE): Reforms of the institutional set-up of the EU

Reforms of the institutional set-up of the EU

Sebastian Schäffer

The need for a reform of the EU institutional set-up has been ignored for far too long. However, the way it is designed is now causing slowness and status-quo on questions such as enlargement, the environment or foreign policy. To overcome these apathies, the EU should firstly moderate the weight a single member can have.  All decisions on the European level need to be taken with a qualified majority instead of unanimity. Plus, the reform of the institutional set-up needs to provide safeguard mechanisms, which will prevent one or a few heads of state or government to interfere with decision-making and/or work against the democratic principles in their country.

A European body that would represent the regions (a second chamber next to the European Parliament, with representatives from the European Regions replacing the Council of ministers) should be created to work to ensure that civil society is better listened to, consulted, and understood, and finally to promote mutual understanding. By granting both the EP and the Council of Regions the right of initiative, not only the role of the structural and cohesion funds would gain more importance but also the influence of national governments on European decision-making would be more balanced. Building a second chamber as a kind of a senate is necessary and would furthermore help to develop the common foreign policy of the EU.

Brave and bold steps need to be taken. The conference on the Future of Europe is one possibility. However, the pressure from the civil society on the decision makers to really work on restructuring governance in Brussels needs to be increased.

In order to launch a break-through reform of the institutional set-up, a European referendum held jointly, and not separately in each member country, could foster discussion beyond national politics and provide a real basis for a reform of European governance. A legal basis for holding such a referendum needs to be passed. Another possibility to be discussed could be that a negative outcome would not hold the whole process of a treaty reform as is has been the case, amongst others, in 2005 and 2008, but rather if the decision is to remain in the EU under the new treaty or to leave.

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What is Conference on the Future of Europe (CoFoE)?
It is an initiative of the European Parliament and the European Commission with an aim
to promote democracy, build a more resilient Europe and involve citizens as equal partners in the discussion on the future of the EU. Since 19 April 2021 also you can participate through the multilingual digital platform of the Conference.

The platform offers each European citizen the possibility to express their wishes for the future of Europe. Participating is easy: you can share your opinion, react to other citizens’ ideas, moderate your own events, or join live debates and workshops with other citizens. Don’t hesitate to engage in this exciting discussion to shape the Europe of the future!

IDM Short Insights 14: USA and Germany reach agreement on Nord Stream 2

 

After long disputes, the USA and Germany reached an agreement on the controversial Nord Stream 2 project. What implications will it have for the EU, which was divided over this issue? Why is Germany pursuing the pipeline? Sebastian Schäffer offers answers to these and other questions in IDM Short Insights. This video was originally recorded for the „Breakthroughs from Europe“, a series of GLOBSEC.


Ist die europäische Demokratie noch zu retten?

Der beste Moment für Reformen liegt bereits hinter uns, so Sebastian SCHÄFFER in seinem Gastkommentar. Der Politikwissenschaftler weiß um die Dringlichkeit einer »Wiederbelebung« der Europäischen Union. Die vorhandenen Rettungspläne müssten jedoch jetzt mutig und breit diskutiert werden.

Über Jahrzehnte wurde die Europäische Integration u.a. von dem Narrativ getragen, dass sie aus Krisen gestärkt hervorgeht. Die Politik des leeren Stuhls* in den 1960er Jahren führte zur Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips, die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der 1990er Jahre zum Aufbau einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Mit dem Scheitern des Entwurfs über eine Verfassung für Europa an den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 kam es schließlich zum Vertrag von Lissabon. Ein großer Wurf war es wieder nicht geworden, aber mit einem Schritt zurück, zwei nach vorn, kommt man auch voran. Wenn auch langsam, dafür immerhin stetig. Dabei herrschte die Annahme vor, dass Erweiterung auch mit Vertiefung einhergeht. Mehr Mitgliedsstaaten hieße demnach auch mehr vergemeinschaftete Politikbereiche. Das eine folgt dem anderen.

So sollte irgendwann die Europäische Union (EU) mit Europa gleichbedeutend und fortan alle Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen werden. Die sogenannte »Methode Monnet« wurde allerdings im Dezember 2009 de facto abgeschafft, ohne dass es eine breitere Diskussion darüber gegeben hätte. Dieses Ziel scheiterte aber auch daran, dass es ganz generell abseits der politischen Eliten und EU-Nerds an Debatten zur Ever Closer Union fehlte. Was 1952 durch die Vergemeinschaftung von Kohle und Stahl begann, basiert auf der Annahme, dass die erfolgreiche Kooperation in einem Politikbereich in weitere Bereiche übergeht bis die Zusammenarbeit irgendwann alle erfasst. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde diese Idee begraben, denn mit der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten sich Kompetenzen zurückzuholen, greift dieses Prinzip nicht mehr. Dabei war es keine böse Absicht. Mit der Hoffnung dadurch Integrationswillen zu schaffen, schlitterte die EU jedoch ungewollt in die nächste Krise. Erstmals war nämlich auch die Option vorgesehen, dass Mitgliedstaaten wieder austreten. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Nach der Finanz- und Eurokrise 2007/2008, der sogenannten Migrationskrise 2015 kam 2016 auch noch der Brexit hinzu. Zusätzlich dominiert seit über einem Jahr eine Pandemie unser Leben. Was also, wenn die Krisen nie aufhören bzw. ineinander übergehen oder sogar parallel verlaufen? Kann man dann immer noch gestärkt daraus hervorgehen?

Regionale Ungleichzeitigkeit

Anfang der 1990er Jahre beschrieb der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Claus Offe die Notwendigkeit, gleichzeitig politische und wirtschaftliche Transformationen – und in einigen Fällen auch Staatsbildungsprozesse – in Mittel- und Osteuropa durchführen zu müssen als »Dilemma der Gleichzeitigkeit«. Die Herausforderungen für einen sozialen und gesellschaftlichen Wandel sind darin noch gar nicht inkludiert. Der deutsche Philosoph Ernst Bloch hat bereits in den 1930er Jahren auf den Umstand hingewiesen, dass nicht alle Bereiche der Gesellschaft Fortschritte zur selben Zeit und gleich umfassend durchlaufen und nannte diesen Zustand Ungleichzeitigkeit. Im Hinblick auf die heutige EU können wir also durchaus von einem Dilemma der Ungleichzeitigkeit sprechen. Ein System, das nicht in der Lage ist, sich an neue Gegebenheiten anzupassen, droht zu scheitern. Vor allem wenn diese Notwendigkeit noch nicht von allen Teilen der Gesellschaft erkannt oder, heute sogar noch relevanter, nicht empfunden wird. Der beste Moment für eine breit angelegte Diskussion über eine Reform des institutionellen Aufbaus wäre unmittelbar nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses in London gewesen. Der zweitbeste Moment ist jetzt. Vorschläge zu diesem Wandel gibt es genug. Von einer Europäischen Republik bis zu einem Europa der Nationen. Es müssen aber nicht immer radikale Schritte sein. Wir müssen das gemeinsame Haus Europa nicht einreißen, um es neu bauen zu können. Eine Renovierung bestehender Strukturen mit einer zukunftsfähigen Sanierung, darunter etwa das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, können die Grundlagen für die nächsten sieben Jahrzehnte Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent schaffen – und diesmal wirklich für alle Staaten. Ein Ansatz dafür könnte im Regionalismus liegen. Um die Rechenschaftspflicht, die Effizienz und die demokratischen Strukturen zu verbessern, sollten die folgenden vier Empfehlungen umgesetzt werden: 1) Reduktion der Europäischen Kommission auf 15 Mitglieder 2) Pan-europäische Wahl des Europäischen Parlaments 3) Integration des Rates der Europäischen Union/Consilium in den Europäischen Rat sowie 4) Schaffung eines Rats der Europäischen Regionen.

Wie wir leben wollen

Aber nicht nur die Institutionen auf EU-Ebene haben dringenden Reformbedarf. Ganz grundsätzlich müssen wir uns überlegen, wie eine repräsentative Demokratie im 21. Jahrhundert funktionieren kann. Allein mit mehr Bürgerbeteiligung ist es nicht getan, denn auch diese lässt sich instrumentalisieren. Hybride Varianten wie Stabilokratien oder illiberale Demokratien mögen gerade en vogue sein, machen langfristig aber eine Repräsentation der gesamten Gesellschaft unmöglich. Am Ende läuft es schlichtweg auf die Frage hinaus, ob wir in einer Demokratie oder einem autoritären Staat leben wollen. Ist die europäische Demokratie also noch zu retten? Ja, allerdings befindet sie sich schon seit geraumer Zeit auf der Intensivstation. Bevor all die Orbáns, Salvinis, Le Pens und Weidels ihr endgültig den Stecker ziehen, sollten wir ihr wieder auf die Beine helfen. Reanimation ist nicht ausreichend. Nach einer Nahtoderfahrung kann man nicht einfach mit den alten Gewohnheiten fortfahren. Es gilt, den Lebenswandel grundlegend zu ändern. Vorschläge dazu gibt es genug, Hauptsache die Herausforderungen werden endlich angegangen und nicht nach der ersten Hürde wieder abgebrochen. Die Konferenz zur Zukunft Europas* kann dazu eine Möglichkeit sein. Schon jetzt ist für eine Vertragsrevision ein Konvent als Mechanismus* vorgesehen. Bisher hat sich nur niemand getraut, diesen einzuberufen. Was die EU gestärkt aus den Krisen hervorgehen ließ, war der Mut der EntscheidungsträgerInnen zur Veränderung. Wir müssen dieses Mal einen möglichst breiten Konsens schaffen, statt uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Dazu gehört es auch, Argumente zu berücksichtigen, unabhängig davon, wer sie vorbringt. Denn das ist was Demokratie ausmacht: Streiten über Alternativen. Seien wir wieder gemeinsam mutig!

Damit ist das Fernbleiben Frankreichs vom Ministerrat (1965–1966) gemeint. Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle blockierte so die Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft (u.a. zur Europäischen Integration), was zu einer Krise der Europapolitik führte. Aus Sorge, die nationalen Interessen künftig nicht mehr durchsetzen zu können, hatte sich Frankreich damals gegen die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in der gemeinsamen Agrarpolitik ausgesprochen – mit Erfolg. Mit dem Luxemburger Kompromiss
kam die Gemeinschaft Frankreich schließlich
entgegen.

 

Sebastian Schäffer ist Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien und Generalsekretär der Danube Rectors‘ Conference (DRC). Er ist Gründer und Inhaber von SeminarsSimulationsConsulting (SSC) Europe, einer Plattform zur Vermittlung von Lehr- und Lernmethoden sowie Politikberatung für europapolitische Themen. Schäffer ist zudem Associate Fellow am Centre for Global Europe des GLOBSEC Policy Institute, Bratislava.

Opinion Piece (CoFoE): Enlargement: Western Balkans

Enlargement: Western Balkans


Sebastian Schäffer/ Emilie Laborel

While the EU aims to abolish borders, this impulse dried out after 2013, especially for the Western Balkans (WB6). The EU member states are reluctant when it comes to enlargement, despite the promise given at the Thessaloniki summit in 2003.

For almost 20 years, the WB6 demonstrated their readiness to join. They started official procedures and some became candidates. They reoriented policies and all are participating in initiatives to prepare to become a member (e.g. CEFTA, mini Schengen, etc.).

After Croatia’s accession, enthusiasm for enlargement within the EU itself waned in the last decade, despite the positive signal it sent. The EU failed to keep up the momentum. This could weaken the trust of the WB6 in the EU and lead them to soften efforts while other actors (Russia, China or Turkey) are offering a viable alternative to integration.

The EU focuses too much on the Copenhagen criteria to assess the WB6 applications. It is not productive to point out each year which one is not met, especially when EU members have trouble meeting them. They should be adjusted. The EU’s ambition for WB6 is predominantly economic, it should rather be political. The economic gap between the two regions has been worked on and EU membership could speed convergence. The EU is making the accession processes increasingly complex, which can be blocked by a single country. All countries need to become politically responsible. Therefore, the EU should integrate the WB6 immediately.

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IDM Short Insights 13: Can national law take primacy over EU law?

The European Court of Justice ruled that the disciplinary chamber of the Polish Supreme Court should be suspended because it is not compatible with the EU law. The same day Poland’s Constitutional Tribunal stated that the ruling of the Court is incompatible with the Polish Constitution and thus Poland does not have to comply. Watch Malwina Talik (IDM) explain, what may be the implications of this judiciary feud for the EU.


„Gelb ist die Hoffnung“ Parlamentswahl in der Republik Moldau

„Gelb ist die Hoffnung“ Iris Rehklau und Sebastian Schäffer zur Parlamentswahl in der Republik Moldau für Der Standard

 

Die pro-europäische PAS (Partidul Acțiune și Solidaritate) von Maia Sandu ist klarer Sieger der Parlamentswahl in der Republik Moldau. Kann die neue Regierung das Land aus der Dauerkrise führen?
Lesen Sie die Analyse von Iris Rehklau und Sebastian Schäffer auf der DER STANDARD und auf dem Eastblog – Universität Wien.

Parlamentswahlen in Bulgarien (Juli 2021)

Online Podiumsdiskussion veranstaltet vom IDM in Kooperation mit der Politischen Akademie und dem Karl-Renner-Institut

 

Begrüßungsworte Maria Maltschnig, Direktorin des Karl-Renner-Instituts

 

Podiumsdiskussion

Atanas Pekanov, Stellvertretender Ministerpräsident in der Übergangsregierung, zuständig für die Verwaltung der europäischen Fonds

Velina Tchakarova, Direktorin des Austria Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES)

 

Moderation

Sebastian Schäffer, Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

Botschaftervortrag: Herausforderung der Sicherheitspolitik in Südosteuropa: Kroatien als wichtiger Sicherheitsfaktor

Begrüßung Botschafter Dr. Emil BRIX Direktor der Diplomatischen Akademie Wien

Vizekanzler a.D. Dr. Erhard BUSEK Vorsitzender des IDM Moderation

Univ.-Prof. Dr. phil. Florian BIEBER Professor für Südosteuopäische Geschichte und Politik an der Universität Graz. Direktor des Zentrums für Südosteuropastudien der Universität Graz und Koordinator der Balkans in Europe Policy Advisory group (BiEPAG)

 

Als Mitglied der Europäischen Union und des Nordatlantischen Bündnisses (NATO) gehört die Republik Kroatien zu denjenigen demokratischen Staaten, die durch gemeinsame europäische Werte untrennbar miteinander verbunden sind. Neben den Vorteilen der Mitgliedschaft in den euro-atlantischen Integrationen ist die Republik Kroatien gleichermaßen wie seine Bündnispartner vor große sicherheitsrelevante Herausforderungen gestellt, die als langfristige Gefahrenquellen anzusehen sind, wie Terrorismus, illegale Migration, Extremismus, organisierte Kriminalität, hybride Kriegsführung und dgl. Zugleich, aufgrund seiner spezifischen geopolitischen Lage, hat die Stabilität der unmittelbaren Umgebung und Nachbarschaft in Südosteuropa, eine Schlüsselbedeutung für Kroatien. Trotz Fortschritten bei der Umsetzung von entsprechenden innenpolitischen Reformen und demokratischen Entscheidungsprozessen bestehen bei einzelnen südeuropäischen Staaten auch weiterhin destabilisierende Trends, die innen- und außenpolitische Spannungen herbeiführen können, was sich selbstverständlich auf die gesamte Stabilität und Sicherheit des breiteren EU-Raumes negativ auswirken kann. Die Republik Kroatien ist daher entschlossen, die Länder in Südosteuropa bei ihren Reformprozessen und ihrer euroatlantischen Perspektive zu unterstützen, so dass Sicherheit und eine dauerhafte Stabilität auf dem Gebiet des breiteren südosteuropäischen Raums gewährleisten werden kann.

Good Governance: Ein Demokratiemotor für den Westbalkan?

Wie gut ein Staat funktioniert, zeigt sich oft anhand unserer Erfahrungen im Umgang mit Behörden und Ämtern. Thomas PROROK weiß um die Probleme des öffentlichen Sektors in den Westbalkanstaaten. Der Verwaltungsexperte erklärt, an welchen Schrauben gedreht wird und warum Eigeninitiative und Transparenz dabei wichtig sind.

Zwei Drittel der BürgerInnen der Westbalkan-Länder* vertrauen ihren Regierungen und Parlamenten nicht. 71 % geben an, dass die Regierungen Korruption nicht effektiv bekämpfen. Diese Zahlen stammen aus dem neuesten Balkan Barometer, das jährlich die öffentliche Meinung in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien zu wichtigen Fragen von Politik und Wirtschaft erhebt. Es sind Zahlen, die nachdenklich machen, vor allem, weil sie sich in den letzten Jahren nicht verbessert haben. Gleiches gilt für die Worldwide Governance Indicators: Hier misst die Weltbank in fast allen Ländern der Welt verschiedene Aspekte der Regierungsführung und Verwaltung. Auf einer Skala von -2.5 (geringe Effektivität) bis 2.5 (hohe Effektivität) rangieren die Länder des Westbalkans im Kriterium Government Effectiveness bei -0,62 bis 0,01. Hierzu zählen zum Beispiel die Qualität der öffentlichen Services und des öffentlichen Dienstes. Der Vergleichswert Österreichs liegt bei 1,49. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit und politischer Mitbestimmung.

Abwanderung der Unzufriedenen

Die wohl dramatischste Konsequenz dieser Entwicklungen ist die Abwanderung, von der die gesamte Region betroffen ist. Die Weltbank sowie das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche haben zwischen 1989 und 2015 einen Bevölkerungsrückgang von 4,4 Millionen Menschen in der Region ausgemacht. Und das bei nur 18 Millionen BürgerInnen. Die Europäische Kommission hat die Problematik erkannt und 2020 eine EU-Erweiterungsstrategie für den Westbalkan inklusive Roadmap für das Funktionieren der demokratischen Institutionen und eine Verwaltungsreform präsentiert. Diese macht den Zusammenhang von funktionierenden demokratischen Strukturen und einer »guten« öffentlichen Verwaltung sichtbar: Good Governance ist ein wichtiges Fundament für die demokratische Prosperität eines Staates. Das KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung engagiert sich am Westbalkan gemeinsam mit seinen Partnern mit drei wichtigen Initiativen, die in der Folge kurz vorgestellt werden.

Zivilgesellschaft als Korrektiv

Das Projekt WeBER ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen des Westbalkans, welche die Fortschritte der Verwaltungsreformen in der Region überprüfen. Dabei legt das von der EU unterstützte Projekt besonderen Wert auf die Sichtweisen von BürgerInnen und der Zivilgesellschaft. Es verwundert nicht, dass insbesondere Transparenz, Partizipation und Offenheit der Verwaltung eingefordert werden. Die Ergebnisse sind zum Teil ernüchternd: So finden nur 13 % der befragten zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Region, dass die Entscheidungsfindung ihrer Regierung im Allgemeinen nachvollziehbar ist. Ein spezifischer Fokus liegt auf der Haushaltstransparenz, die sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. In allen Ländern gibt es zwar Bestrebungen, die Transparenz der öffentlichen Budgets zu verbessern – in Nordmazedonien und im Kosovo wurden hierfür sogar bürgerfreundliche Haushaltsportale ausgebaut – aber nur in Nordmazedonien wird das Jahresbudget auch im Open-Data-Format veröffentlicht. Nichtfinanzielle Leistungsinformationen finden sich lediglich in dem Haushalt Albaniens und Ansätze von Bürgerbudgets gibt es nur in Montenegro. Als besonders problematisch stellt WebER fest, dass die Angaben von Montenegro und Serbien 2017 und 2018 weniger transparent waren als zuvor und auch nur wenige funktionale Informationen (z.B. Mittel für Soziales, Bildung, Gesundheit) bereitstellten.

Sichtbarmachen von Fortschritten

Mit dem Städteverband Südosteuropas wurde eine Onlineplattform aufgebaut, die erstmals für alle Länder des Westbalkans zeitnahe, genaue, zuverlässige und vergleichbare Indikatoren und Informationen zur lokalen Governance zugänglich macht. Die benutzerfreundliche Visualisierung komplexer Daten erlaubt es, die Fortschritte in der Dezentralisierung und der lokalen Selbstverwaltung zu überprüfen. Darüber hinaus ist sichtbar, welche Budgets für die Städte und Gemeinden zur Verfügung stehen, um wichtige öffentliche Leistungen wie Bildung, Kindergarten, soziale Hilfen und Infrastruktur für die BürgerInnen zu erbringen. Diese Transparenz-Plattform zeigt eindringlich, dass die kommunale Budgetautonomie abnimmt. Im Durchschnitt gingen die Einnahmen der Gemeinden in Südosteuropa zwischen 2015 und 2017 um 0,5 % zurück. Der Anteil, über den die Gemeinden autonom entscheiden können, verringert sich, während der Anteil von zweckgebundenen Zuschüssen ansteigt. Zentrales Problem ist das Generieren eigener Einnahmen, welches durch häufige Änderung der Rechtsrahmen sowie veraltete Register erschwert wird. Dadurch verliert die Regional- und Gemeindeautonomie als wichtiger Ausgleichsmechanismus im staatlichen Machtgefüge sukzessive an Bedeutung.

Transparenz und Partizipation bewerten

Vor nunmehr 20 Jahren haben sich die MinisterInnen für öffentliche Verwaltung der EUMitgliedsländer auf ein gemeinsames Instrument zur Qualitätsverbesserung ihrer Services geeinigt. Seither firmiert unter der etwas sperrigen Bezeichnung CAF (Common Assessment Framework – deutsch: Gemeinsamer Bewertungsrahmen) ein mächtiges, aber in der Öffentlichkeit wenig bekanntes, Werkzeug zur Verwaltungsreform. Bei diesem europäischen Ansatz geht es darum, dass öffentliche Verwaltungen, also Ministerien, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen sowie Verbände oder öffentliche Unternehmungen, selbstständig und andauernd einen Verbesserungsprozess initiieren. Das heißt, diese warten nicht auf den nächsten Aufruf zur Verwaltungsreform, sondern werden selber aktiv: Sie hinterfragen regelmäßig die internen Abläufe und digitalisieren schrittweise ihre Behörden, sie fördern die Personalentwicklung auf höchstem Niveau, sie leben Partizipation, Transparenz und arbeiten kundenorientiert. Das alles erfordert eine neue Kultur der Offenheit in der öffentlichen Verwaltung und Politik der Länder des Westbalkans. Dass der CAF ein wirksames Instrument zur Verwaltungsreform ist, zeigt auch die Europäische Kommission: Bei den Beitrittsverhandlungen überprüft die Kommission die Umsetzung der rechtsstaatlichen Grundlagen, zu denen auch die Maßnahmen zur Verwaltungsreform zählen. Dabei stellt die Kommission (genauer die SIGMA Initiative von OECD und EU) auch dezidiert die Frage, ob der Bewertungsrahmen eingesetzt wird. Mit der Regional School for Public Administration (ReSPA) hat das KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung deshalb ein umfassendes CAF-Programm initiiert. Dieses führte den Bewertungsrahmen als neues Instrument der Verwaltungsreform in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien ein. Gemeinsam mit den zuständigen Ministerien dieser Länder wurden mit Unterstützung der Austrian Development Cooperation in den letzten Jahren insgesamt 19 CAF-Initiativen umgesetzt.

Demokratiemotor Good Governance

Diese drei konkreten Initiativen zeigen, dass Reformen der öffentlichen Verwaltung in Richtung Good Governance zur Stärkung der demokratischen Strukturen beitragen können. Besonderes Potenzial haben neben der Festigung der Rechtsstaatlichkeit und Servicequalität hierbei der Ausbau von Transparenz und die Einbindung von BürgerInnen sowie der Zivilgesellschaft. Dies ist notwendig, um Vertrauen und Legitimität in Verwaltung, Staat und Demokratie zu stärken. Klar ist aber auch: Die öffentliche Verwaltung kann hier nur einen wichtigen Beitrag leisten. Demokratie muss jeden Tag neu erkämpft werden und hierfür bedarf es der ehrlichen Unterstützung durch die politischen AkteurInnen.

zählen jene Staaten Südosteuropas, die noch nicht Mitglied der Europäischen Union sind: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien.

 

Thomas Prorok ist stellvertretender Geschäftsführer des KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung. Seine Expertise umfasst seit 20 Jahren die Themen Verwaltungsreform, Dezentralisierung, lokale Selbstverwaltung und EU-Integration. Er ist Mitglied des Vorstandes des IDM und des Beirates der Regional School for Public Adminstration des Westbalkans (ReSPA). Seit 2015 leitet er das BACIDProgramm zum Aufbau von Verwaltungskapazitäten im Westbalkan und der Republik Moldau.