Kryptowährungen außer Kontrolle

Montenegro hat eine lange Geschichte des Zigaretten-, Waffen- und Drogenschmuggels. Mittlerweile werden auch Kryptowährungen für illegale Aktivitäten genutzt. SAŠA ĐORĐEVIĆ und ANESA AGOVIĆ erklären, wie fehlende Regulierungen dem organisierten Verbrechen neue Türen öffnen 

Montenegro galt jahrzehntelang als kriminelle Drehscheibe für diverse illegale Aktivitäten unter mafiaähnlichen Strukturen. Im Global Organized Crime Index 2023 landet das Land nach wie vor auf der fünften Stelle der europäischen Länder mit der höchsten Rate an organisierter Kriminalität und an zweiter Stelle in den westlichen Balkanländern. 

Seit 2021 bekommt Montenegro auch die Aufmerksamkeit von Investor*innen in Kryptowährung und darunter auch jene, die diese digitalen Vermögenswerte missbrauchen wollen. Das veränderte die kriminelle „Unterwelt“ im Land. Einer der bekanntesten Akteure in ihr ist Do Kwon, ein südkoreanischer Staatsbürger, dem die USA und Südkorea wegen eines angeblichen milliardenschweren Betrugs am Kryptowährungsmarkt und Verstößen gegen Kapitalmarktgesetze den Prozess machen wollen. Die montenegrinischen Justizbehörden entscheiden derzeit über seine Auslieferung. 

Parallel zu Kriminalfällen wie diesen unternimmt Montenegro Schritte, um sich als Krypto-Oase zu positionieren. Für Investor*innen in Kryptowährungen sollen günstige Steuern angeboten und Hürden abgebaut werden – so wie es bereits in Belarus, Bermuda, den Britischen Jungferninseln und den Kaimaninseln, El Salvador und Georgien üblich ist. Der Versuch dieser neuen Ausrichtung fiel mit dem Aufstieg des derzeitigen Premierministers Milojko Spajić zusammen, der von der Wirtschaft in die Politik wechselte.   

Im April 2022 gewährte Montenegro Vitalik Buterin, einem Mitbegründer von Ethereum, die Staatsbürgerschaft und signalisierte damit Offenheit für Krypto-Innovator*innen. Ethereum ist die zweitbeliebteste Kryptowährung nach Bitcoin. Im Vergleich zur Konkurrenz erlaubt sie Nutzer*innen auch Smart Contracts (kodierte Blockchain-Verträge) und Transaktionen zu entwickeln und durchzuführen. Die Ausrichtung einer bedeutenden Krypto-Konferenz im Mai 2023 und die Aufnahme von Gesprächen mit dem US-Krypto-Unternehmen Ripple über die mögliche Einrichtung einer digitalen Zentralbankwährung oder eines nationalen Stablecoin (eine montenegrinische Kryptowährung, die einen stabilen Wert behalten soll) im Juli 2023 haben das wachsende Engagement Montenegros und gleichzeitig das Interesse für Krypto-Unternehmen erhöht. 

Fehlende Gesetze als Einladung zur Geldwäsche 

Nicht alle sehen diese Entwicklungen positiv. Der Länderbericht der Europäischen Kommission 2023 äußert Bedenken hinsichtlich des unregulierten Status des Kryptowährungsmarktes. Die EU selbst verlangt von Kryptowährungsdiensten, dass sie die illegale Verwendung dieser aufdecken und verhindern. Darüber hinaus äußerte sich Montenegros Präsident Jakov Milatović kritisch gegenüber dem Vorstoß von Premierminister Milojko Spajić, Montenegro zu einer Krypto-Oase zu machen. 

Kryptowährungen sind in Montenegro nicht illegal wie in China, Tunesien oder Ägypten. Obwohl sie offiziell nicht als gültige Zahlungsmethode anerkannt sind, ist ihr Besitz und ihre Verwendung nicht verboten. Doch genau diese fehlenden Regulierungen bergen ernsthafte und vielfältige Risiken. Zum Beispiel ermöglicht es Geldwäscher*innen, unrechtmäßig erworbene Gewinne digital zu verbreiten, indem sie sich hinter Pseudonymen verstecken.  

Neben dem Fall Do Kwon wurde im Juni 2023 ein illegaler Kryptomat an der Küste Montenegros gefunden. Dieser Automat ermöglichte die Umwandlung von digitalen Währungen in Bargeld oder andere Kryptowährungen. Er wurde mit dem vorbestraften Briten George Cottrell in Verbindung gebracht, der unter Beobachtung der US-Behörden steht. Ein weiterer illegaler Kryptomat tauchte in der Hauptstadt Podgorica auf. 

Auch am Immobilienmarkt spielt Krypto eine Rolle. So gab eine montenegrinische Agentur bekannt, dass ihre Makler*innen eine Immobilie im Wert von 6 Millionen Euro – bezahlt in Kryptowährung –verkauft hätten. Derlei Geschäfte stammen in erster Linie von Käufer*innen außerhalb Montenegros, etwa aus Russland, der Ukraine, Zypern, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Israel und den USA.   

Auf Krypto bauen 

Die montenegrinischen Behörden schaffen nur langsam Fortschritte, um mit Krypto einhergehende Risiken einzudämmen. Im Juli 2021 richtete das Finanzministerium zwei Abteilungen ein, die sich mit Blockchain und Kryptowährungen befassen. Darüber hinaus bietet die Zentralbank Informationen über neue Finanztechnologien, um Privatbanken zu unterstützen. Bemühungen zur Regulierung der Blockchain-Technologie wurden Anfang 2022 von Spajić, damals noch Finanzminister, eingeleitet. Die instabile politische Lage verhinderte jedoch bislang das Einführen konkreter Rechtsvorschriften. 

Dieses Rechtsvakuum eröffnet neue Möglichkeiten im Bereich der illegalen Finanzströme, darunter der Geldwäsche. So können beispielsweise Gewinne aus dem Drogengeschäft, die außerhalb Montenegros erwirtschaftet werden, durch den Bau und Kauf von Immobilien ins Land gelangen. Die Regierung erklärte Immobilien in ihrer nationalen Risikobewertung offiziell als Hochrisikosektor für Geldwäsche.  

Die Möglichkeiten zur Geldwäsche mit Kryptowährungen sind vielfältig. So arbeiten beispielsweise Krypto-Händler mit Minern zusammen. Mining ist das Bereitstellen von Rechenleistung, um Transaktionen zu verarbeiten und zu verifizieren – dies wird den Minern für gewöhnlich ebenso in Kryptowährung entlohnt.  Wenn Miner eine überhöhte Rechnung erstellen, die Händler mit Bitcoin oder einer anderen digitalen Währung bezahlen, können illegale Gelder durch gefälschte Papiere in legitim aussehende Einkünfte umgewandelt werden.  

Eine andere Taktik ist die Verwendung von Mixern, die auch als Tumbler bezeichnet werden. Dabei werden Gelder, die durch kriminelle Aktivitäten erlangt wurden, durch zahlreiche Transaktionen in verschiedenen Krypto-Wallets in mehrere Kryptowährungen umgewandelt. Dieser Prozess findet häufig auf Handelsplätzen statt, die in Ländern mit laxer Feststellung der Kund*innenidentität und schwachen Geldwäschegesetzen betrieben werden, oder auf Handelsplätzen, deren Standorte nicht bekannt sind. 

Kryptoboom unter Auflagen 

Auch bei der wirksamen Bekämpfung illegaler Finanzströme steht Montenegro seit Jahren vor erheblichen Hürden, worauf auch die Europäische Kommission hinwies. Obwohl zwischen 2016 und 2022 insgesamt 80 Finanzermittlungen eingeleitet wurden, konnten nur zwei erfolgreich abgeschlossen werden. In den meisten Fällen werden die Finanzermittlungen aufgrund ihrer Komplexität erst nach den strafrechtlichen Ermittlungen gestartet, was es schwierig macht, die illegalen Finanzströme aufzuspüren und zu beschlagnahmen. Die Zahl der Geldwäschefälle vor Gericht steigt, doch die Zahl der daraus resultierenden Urteile bleibt bemerkenswert niedrig. In den Jahren 2021 und 2022 wurden nur zwei Urteile gegen drei Personen gefällt, und das auch nur aufgrund von Geständnissen gegen mildere Strafen. 

Trotz des Fehlens aktueller Vorschriften behauptet die Zentralbank, dass Kryptowährungen keine unmittelbare Bedrohung für das lokale Bankensystem darstellen. Diese Haltung ist jedoch keine Garantie für die zukünftige Stabilität. In Anbetracht der Geschichte Montenegros mit Zigaretten- und Drogenschmuggel sowie der weit verbreiteten Korruption auf hoher Ebene ist es notwendig, robuste Regulierungsmaßnahmen zu ergreifen. Das Land sollte die 2023 verabschiedeten EU-Vorschriften für Kryptomärkte und Geldtransfer vorbereiten sowie den europäischen Pass für Kryptowährungsdienstleister einführen. Denn wenn Montenegro wirklich anstrebt, eine Krypto-Oase zu werden, muss es ein maßgeschneidertes Regulierungssystem entwickeln und seine Kompetenz im Bereich der Finanzermittlung und -untersuchung verbessern.  

 

Saša Đorđević ist Senior Analyst bei der Global Initiative Against Transnational Organized Crime und Doktorand an der Fakultät für Strafjustiz und Sicherheit in Slowenien. 

Anesa Agović ist Journalistin und Forscherin. Seit 2020 ist sie Feldkoordinatorin für Bosnien und Herzegowina bei der Global Initiative Against Transnational Organized Crime.